Zwei Jahre nach ihrer Niederlage im Wimbledon-Finale gegen Serena Williams, schafft Angelique Kerber einen Coup, den nur ganz wenige Tennisspieler auskosten dürfen. Mit 6:3, 6:3 revanchiert sich die 30-jährige im Finale von Wimbledon. Für die Kielerin ist es der dritte Grand Slam-Titel und auch der prestigeträchtigste.
Weder Serena Williams noch Angelique Kerber standen 2017 im Rampenlicht der großen Tennisbühne. Die Amerikanerin bekam eine Tochter namens Alexis Olympia. Ein knappes Jahr verschwand sie von den Rasen- und Sandplätzen der Welt. Wimbledon war erst ihr viertes Turnier nach ihrer Rückkehr.
Kerber hingegen war die ganze Zeit aktiv, nur die Ergebnisse waren enttäuschend. An ihren Erfolgslauf aus dem Jahr 2016 konnte sie nicht anknüpfen. Von Platz 1 in der Weltrangliste fiel sie auf Platz 21 zurück. Als sie im November 2017 ihren langjährigen Trainer Torben Beltz austauschte, stand Kerber am Tiefpunkt, der sich später als Wendepunkt herausstellen sollte.
Mit neuem Trainer gegen alte Zweifel
Der neue Trainer Wim Fisette half Kerber wieder in die Spur zurück. Ihre Qualität als Tennisprofi stand nie zur Debatte, nur ihre Psyche stand oft im Weg. Der Umgang mit den eigenen Zweifeln war wichtig zu Beginn der Zusammenarbeit.
Nach Kerbers mühsamen Sieg in der zweiten Runde gegen die Amerikanerin Liu sagte Fisette: „Angie muss lernen, ihre negativen Emotionen besser zu kontrollieren.“ Der Belgier sprach offen über ihr Problem, aber in den letzten zwei Wochen wirkte Kerber viel befreiter. Gegen Rückschläge ist sie nicht immun, aber resistenter geworden.
Eine Talfahrt der Gefühle wie Kerber sie erlebt hat, kostet vor allem mentale Kraft, die 2018 offenbar wieder neu entfacht ist. In diesem Jahr ist sie die einzige Spielerin, die bei allen Major-Turnieren in Melbourne, Paris oder nun in London die zweite Woche erreicht hat.
Ihre Gegnerin hatte dazu gar nicht die Möglichkeit, bei den Australian Open trat sie noch nicht an, bei den French Open schied sie früh aus. Doch ihre 23 Grand Slam-Titel sprechen für sich. Wenn es jemanden gibt, der in fortgeschrittenem Alter nach einer Babypause wieder Weltklasse-Niveau erreicht, dann wohl Serena Williams. Auf dem Platz hat sie nach wie vor einen knallharten Aufschlag, spielt mit einer ungeheuren Wucht.
Kerbers Schlaghärte sticht nicht heraus. Die Deutsche muss sich jeden Punkt hart erkämpfen, ihre Gegnerinnen schicken sie häufig links und rechts unermüdlich über das Feld. Direkte Punkte durch Aufschläge gelingen ihr selten. Aber Kerber ist widerspenstig. Und sie hat einen eindrucksvollen Return, einen der besten im Damentennis.
Kerber liegt nur kurz hinten
Am Samstag hatte auch Serena Williams damit zu kämpfen. Vor rund 15.000 Zuschauern im ausverkauften Center Court glückte Kerber ein Start nach Maß, ehe Williams im ersten Satz die 3:2 Führung übernahm. Doch dieser Vorsprung sollte ihr einziger im ganzen Spiel sein.
Williams wirkte ein wenig fahrig, ihr unterliefen zahlreiche Fehler. Einmal schoss sie am Netz Kerber fast ab, man spürte, dass die 36-jährige nicht vollends zufrieden war und mit sich selbst haderte. Dabei war allein der Finaleinzug ein Meisterstück, ein Beweis ihrer Aufopferungsgabe.
Kerber wehrte die Angriffsschläge gekonnt ab, mitunter sogar knieend. In ihrer kontrollierten Verteidigungsposition fühlte sie sich wohl. Aus der Deckung wagte sie sich selten, doch mit jedem präzisen Vorhandschlag die Grundline hinunter wuchs ihr Selbstvertrauen.
Kerber verwandelt ersten Matchball
Nach nur 65 Minuten Spielzeit verwandelte Kerber ihren ersten Matchball. Dann sank sie auf den Rasen, als sie wieder aufstand, wirkte ihr Blick ungläubig, skeptisch, beeindruckt von der eigenen glanzvollen Leistung, die sie eben vollbracht hatte.
„Das ist der schönste Tag meiner Karriere. Jetzt kann ich sagen: Ich bin Wimbledon-Champion, diesen Titel kann mir keiner nehmen, ich bin überglücklich.“ Kerbers Name wird nun in goldenen Lettern die heilige Tafel der Champions zieren, auf der die Namen von Boris Becker, Martina Navrátilova oder Steffi Graf bereits eingraviert sind. Kerber ist die erste Deutsche nach Steffi Graf 1996, die in Wimbledon triumphiert.
Kerbers Karriere lässt sich mit einer Sinus-Kurve vergleichen, ein ständiges Auf und Ab. Auch wenn Kritiker ihr Inkonstanz vorwerfen, sie beweist wieder einmal ihre Qualität, Niederlagen wegzustecken. Und egal was jetzt noch kommt: Mit dem Wimbledon-Titel gehört sie fortan zu einem kleinen, exklusiven Kreis. Sie ist angekommen im Tennis-Olymp.