Beim Aussprechen seines Nachnamens bedarf es Konzentration: Antetokounmpo. Der Grund, warum der Basketballprofi meist nur Giannis genannt wird. Mit den Milwaukee Bucks hat er Ende Juli seinen ersten NBA-Titel geholt. Heute ist der „Greek Freak“ einer der bestverdienenden Sportler der Welt, dabei war er früher mittellos und wurde als illegaler Einwanderer stigmatisiert.
Sommer 2008 im Herzen von Athen. Der 13-jährige Giannis Antetokounmpo und seine Brüder tingeln durch die Straßen der griechischen Hauptstadt, verwickeln Touristen in Gespräche und bieten ihre Ware an: Sonnenbrillen, günstige Uhren und Taschen, DVDs, CDs.
Giannis‘ Mutter Veronica arbeitet als Babysitterin, sein Vater Charles verdient sein Geld mit Gelegenheitsjobs. Er war früher Fußballer, sie eine ehemalige Hochspringerin. Nachdem ihr erstes Kind noch in der nigerianischen Metropole Lagos geboren wurde, immigrierten sie 1991 nach Griechenland. Vier weitere Söhne folgen, darunter Giannis, der am 6. Dezember 1994 in Athen zur Welt kommt.
Giannis ist ein großer, spindeldürrer Jugendlicher. Aber viel Platz, um die Beine beim Schlafen auszustrecken, bleibt in der Zwei-Zimmer-Wohnung der Familie nicht. Die Antetokounmpos leben zu siebt – illegal – im Bezirk Sepolia. Mit dem Auto benötigt man eine knappe Viertelstunde zur Akropolis. Das steinerne Vermächtnis der Alten Griechen interessiert Giannis weniger, die existenziellen Fragen sind im Mittelpunkt.
An Tagen, an denen die Brüder kaum etwas verkaufen, bleibt der Kühlschrank leer. Erschwerend kommt hinzu, dass Giannis angesichts seiner dunklen Hautfarbe immer wieder mit Rassismus konfrontiert ist. Und wenn die Gedanken sich nicht mehr kontrollieren lassen, türmt sich die Drohkulisse auf, die Familie könne jederzeit abgeschoben werden. Diese Sorge ist immer da.
Scout entdeckt Giannis und Thanasis
Eines Tages schlendert Spiros Velliniatis, ein Basketballscout und -trainer, durch Sepolia. Dort entdeckt er den damals 13-jährigen Giannis und seine Brüder auf dem Sportplatz beim Fangenspielen. Sofort fallen Velliniatis die flinken Füße und die schnelle Auffassungsgabe von Giannis auf. Am meisten imponiert ihm jedoch dessen Leidenschaft, jeden Wettkampf gewinnen zu wollen.
Gegenüber der Presse hat Velliniatis immer wieder gesagt, dass er ein Dankgebet zum Himmel geschickt hat, als er Giannis sieht. „Ich wusste sofort, dieser Junge ist etwas Besonderes“, sagt er.
Velliniatis nimmt Giannis und den zweieinhalb Jahre älteren Bruder Thanasis mit zum Basketballverein. Velliniatis ist damals Nachwuchstrainer des Drittligisten Filathlitikos. Als Gegenleistung für das Basketball-Engagement der beiden Minderjährigen verspricht der Klub den Eltern eine monatliche Zahlung von 500 Euro.
Giannis ist zunächst nicht vernarrt in Basketball, seine Liebe gilt dem Fußball. Er spielt selbst und sympathisiert mit dem griechischen Rekordmeister Olympiakos Piräus. Aber die Motivation, seiner Familie über die Runden zu helfen, ist größer als die Skepsis vor dem Neuen.
Nach und nach flammt die Begeisterung der beiden für den orangenen Lederball auf. In Internet-Cafes sehen sich die Brüder Highlights von NBA-Star Allen Iverson an. Giannis widmet sich mit Hingabe seiner neuen Leidenschaft, lebt aber immer noch nahe am Existenzminimum. Bisweilen teilen sich Giannis und Thanasis die Basketballschuhe, weil die Familie nicht genug Geld für ein zweites Paar übrighat.
Gegenüber Euronews hat Velliniatis einmal gesagt: „Giannis hat seine Kindheit nicht genossen, er musste seine Familie ernähren. Ich habe ihn nie zusammen mit Freunden gesehen, denn sein Leben war schwierig, er hatte nie Freizeit.“
Trotz seiner Körpergröße bewegt sich Giannis geschmeidig über das Basketballfeld, nur das Gewicht seines Schützlings bereitet Velliniatis Kopfzerbrechen. „Wenn Mozart vor dir steht und nichts zu essen hat, was gibst du ihm? Du hast ein Dilemma“, wird Velliniatis in einem Artikel der Nex York Times zitiert. „Die Antwort ist keine Geige. Die Antwort ist ein Laib Brot.“
Bei Filiathlitikos wird Giannis als Point Guard, also Spielmacher, eingesetzt. So verbessern sich seine Dribblingfähigkeiten Stück für Stück, bei Schnellangriffen kann der Teenager seine Athletik ausspielen. Dank seiner langen Beine und raumgreifenden Schritte schwebt er beinahe über das Feld. In einem seiner letzten Spiele für das Jugendteam erzielt er 50 Punkte. Mit 16 Jahren debütiert Giannis für die erste Herrenmannschaft in der dritten griechischen Liga.
NBA-Teams werden auf Giannis aufmerksam
Langsam werden Scouts aus der NBA und von großen europäischen Klubs hellhörig und beginnen, sich mit dem staatenlosen Schlaks zu beschäftigen. Giannis befindet sich in der engeren Auswahl an Top-Talenten und ist ein Kandidat für den Draft, bei dem NBA-Teams die Rechte an den besten Nachwuchsspielern der Welt erwerben können.
Vor dem NBA-Draft 2013 nehmen 29 von 30 Franchises die Reise nach Griechenland auf sich, um Giannis vor Ort zu evaluieren. Giannis hat weder einen griechischen noch einen nigerianischen Pass, da es in Griechenland kein Geburtsrecht auf Staatsbürgerschaft gibt.
Giannis selbst, inzwischen 18 Jahre jung, kann ohne Ausweisdokumente schließlich nicht in die USA reisen. Aber ohne Papiere ist eine Karriere in den Vereinigten Staaten utopisch.
Erst am 9. Mai 2013, weniger als zwei Monate vor dem Draft, gewähren die griechischen Behörden ihm die Staatsbürgerschaft. Randnotiz: Die von ihm bevorzugte anglisierte Schreibweise seines Nachnamens – Adetokunbo – wurde bei diesem Prozess in Antetokounmpo umgewandelt.
An Position eins wird Anthony Bennett gedrafted. Die Cleveland Cavaliers verbinden mit ihm die Hoffnung, ihren Franchise-Center für mindestens die nächsten zehn Jahre gefunden zu haben. Doch Bennett spielt heute längst nicht mehr in der NBA.
Giannis wird an 15. Stelle von den Milwaukee Bucks gedrafted. Auch die Atlanta Hawks an Position 17 hatten großes Interesse, den Griechen auszuwählen. Zwischen Giannis fällt die Wahl an Nummer 14 auf Shabazz Muhammad und an 16 auf Lucas Nogueira. Wie Bennett schnüren beide Spieler ihre Schuhe nicht mehr für Franchises aus der besten Basketball-Liga der Welt. Die Beispiele zeigen: Selbst als Erstrundenpick ist eine lange Karriere in der NBA nicht vorprogrammiert.
Giannis entwickelt sich zu einem der weltweit besten Spieler, stößt allerdings in den Playoffs an seine Grenzen
Giannis ist 2,06 Meter groß und wiegt 89 Kilogramm, als er in die NBA kommt. In seiner ersten Saison gewinnt er mit den Milwaukee Bucks nur 15 von 82 Spielen. Eine Klatsche nach der anderen. Ein hohes Maß an Frustrationstoleranz ist gefragt. Der schmächtige Antetokounmpo hat es schwer, sich im Duell mit den etlichen Kraftpaketen der Liga durchzusetzen.
Giannis verbringt viele Abende in der Halle, um besser und kräftiger zu werden – sein Lernwille und seine Bodenständigkeit zeigen sich auf und neben dem Platz. Einmal schickt er seinen gesamten Gehaltscheck zu seiner Familie nach Griechenland und kann daher das Taxi zur Arena nicht mehr bezahlen. Giannis läuft einfach los, bis ihn Fans aufgabeln und zum Heimspiel bringen.

Im Laufe der Jahre wächst der Jungprofi weitere 5 Zentimeter und wird körperlich stärker, Giannis entwickelt sich zum Star. In der Saison 2018/2019 erreichen die Bucks Platz eins im Osten nach der regulären Saison. In den Conference Finals scheitert Milwaukee an den Toronto Raptors, gegen die man trotz einer 2:0-Führung die kommenden vier Spiele verliert.
Im Jahr danach wiederholen die Bucks Platz eins, in den Playoffs indes muss sich die Franchise aus Wisconsin bereits in den Conference Semifinals den Miami Heat geschlagen geben.
In der Postseason bekommt es Giannis oft mit einer „Mauer“ von Verteidigern zu tun, die sich vor ihm aufbaut und ihn nicht zum Korb lässt. Sein unzulänglicher Distanzwurf, auf den sich die absinkenden Gegenspieler einstellen können, beeinträchtigt nicht nur ihn persönlich, sondern hat Einfluss auf das ganze Team. Das Erfolgsrezept aus der regulären Saison stößt an seine Grenzen und stellt sich in den Playoffs als zu eindimensional heraus.
Diverse Bucks-Fans fordern die Entlassung von Trainer Mike Budenholzer. Insgesamt scheint die NBA schnelllebiger und die Stars ungeduldiger geworden zu sein, was die zahlreichen Wechsel von Schlüsselspielern in den letzten Jahren belegen.
Auch Giannis, der sowohl 2018/2019 als auch 2019/2020 zum wertvollsten Spieler der Liga (MVP) gekürt und einmal sogar als Verteidiger des Jahres ausgezeichnet wird, muss sich den Tadel gefallen lassen, dass ihm in den Playoffs die Lösungen ausgehen.
Milwaukee zieht 2021 die Lehren aus den verlorenen Playoff-Serien der Vorjahre
Budenholzer, der 2013 als Trainer der Atlanta Hawks Giannis beinahe gedrafted hätte, behält allerdings seinen Job. In der Offseason 2020 verpflichten die Bucks den defensivstarken Guard Jrue Holiday und geben Eric Bledsoe ab, während sie eine variablere Verteidigung einstudieren. Der Fokus soll auf den Playoffs liegen – nicht auf der regulären Saison, die man diesmal „nur“ auf Platz drei abschließt.
In der ersten Playoffrunde revanchiert sich Milwaukee bei den Miami Heat für die Pleite aus dem Vorjahr und fertigt den amtierenden NBA-Finalisten in der best-of-seven-Serie mit 4:0 ab. In der zweiten Runde gelingt den Bucks ein 4:3-Erfolg gegen die verletzungsgeplagten Brooklyn Nets.
In den Conference Finals ringt das Team aus der Bierbrauerstadt die Atlanta Hawks mit 4:2 nieder, obwohl Giannis aufgrund einer Überdehnung im linken Knie nach einer verunglückten Landung Spiel fünf und sechs verpasst.
In den Finals gegen die Phoenix Suns kann der Grieche wieder mitmischen, dennoch deutet zunächst vieles auf Phoenix als Champion hin. Mit dem Heimvorteil im Rücken gewinnen die Suns die ersten beiden Spiele. Mit jeder weiteren Partie kommt aber die Sicherheit in das Spiel der Bucks zurück, Giannis merkt man seine Verletzung nicht mehr an.
Im zweiten Spiel gelingen Antetokounmpo 42 Punkte, im dritten legt er 41 Punkte auf. Gegen eine schlagkräftige Mannschaft aus Phoenix spielen sich die Bucks und allen voran Giannis immer mehr in einen Rausch. Vor Spiel sechs führen die Bucks in der Serie mit 3:2.
Geschichtsträchtige Leistung im sechsten Finalspiel
Das Beste hat sich der 2,11 Meter große Modellathlet mit einer Spannweite von 2,21 Metern und mittlerweile 110 Kilogramm Körpergewicht noch für Spiel sechs aufgehoben. Konsequent attackiert Giannis den gegnerischen Korb, in der Defensive glänzt er mit 5 geblockten Würfen.
Als wenn das nicht schon genug wäre, entledigt er sich zumindest für dieses entscheidende Spiel einer großen Schwachstelle: seiner Freiwurfquote. Über die gesamten Playoffs hat er gerade einmal 58,7 Prozent seiner Freiwürfe getroffen, im sechsten Finalspiel trifft er 17 von 19 Versuchen.
Selten hat man einen NBA-Profi so engagiert und präsent gesehen. Offensiv brachial und enthusiastisch, defensiv aufmerksam und niemals einen Spielzug aufgebend, treibt Giannis den mehr als 17.000 Zuschauern in der Halle und 65.000 Fans außerhalb der Spielstätte die Freudenröte ins Gesicht.
Mit 50 Punkten (16/25 FG), 14 Rebounds und 5 Blocks ist es wohl das beste NBA-Spiel von Giannis überhaupt. Eine geschichtsträchtige Leistung auf der größten Bühne unter größtmöglichem Druck. Von den 105 Punkten der Bucks erzielt Giannis fast die Hälfte, Phoenix kommt auf 98.
Für Milwaukee ist es der erste NBA-Titel seit 50 Jahren. Seitdem Blocks statistisch erfasst werden (1974), gab es nie einen Spieler mit 50 Punkten, 10 oder mehr Rebounds und 5 Blocks in einem Finals-Spiel. Giannis ist der erste. Selbstverständlich wird er zum Finals-MVP gewählt – nach Tony Parker und Dirk Nowitzki als erst dritter Europäer.
NBA Finals | Ergebnis | |
Spiel 1 | Phoenix Suns – Milwaukee Bucks | 118 : 105 |
Spiel 2 | Phoenix Suns – Milwaukee Bucks | 118 : 108 |
Spiel 3 | Milwaukee Bucks – Phoenix Suns | 120 : 100 |
Spiel 4 | Milwaukee Bucks – Phoenix Suns | 109 : 103 |
Spiel 5 | Phoenix Suns – Milwaukee Bucks | 119 : 123 |
Spiel 6 | Milwaukee Bucks – Phoenix Suns | 105 : 98 |
Giannis verfügt über eine seltene Kombination aus Schnellkraft, Schnelligkeit, Agilität und Power. Dazu sind seine Hände jeweils 25 Zentimeter lang. Er hat ein exzellentes Gefühl für die Helpside in der Verteidigung und im freien Feld benötigt er von der Mittellinie bis zum Dunking nur ein Dribbling.
Aus gutem Grund lautet sein Spitzname im NBA-Kosmos „Greek Freak“. Kevin Durant (Brooklyn Nets), LeBron James (Los Angeles Lakers) und Kawhi Leonard (Los Angeles Clippers) mögen komplettere Spieler sein, aber eine solche Naturgewalt wie Giannis ist keiner von ihnen.
Giannis zieht Milwaukee großen Metropolen vor
Im Sommer 2021 hätte er die Chance gehabt, sich einem noch besser besetzten Kollektiv als den Milwaukee Bucks anzuschließen. Bereits im Dezember 2020 verlängert er allerdings seinen Vertrag bei den Bucks vorzeitig um fünf Jahre. Bis 2026 wird er 228 Millionen Dollar erhalten.
„Ich hätte mich einem Superteam anschließen, einfach mein Ding machen und eine Meisterschaft gewinnen können. Ich wollte es aber auf die harte Tour und diesen Weg habe ich gewählt. Wir haben es geschafft, wir haben es verdammt noch mal geschafft“, sagt er auf der Pressekonferenz nach Spiel sechs.
Am vergleichsweise kleinen NBA-Standort Milwaukee (die Metropolregion hat 1,5 Millionen Einwohner) fühlt sich Giannis wohl. Glamourstädte wie Los Angeles oder Miami sind für ihn weniger attraktiv, wie er vor ein paar Jahren anmerkt.
Mit Giannis, Khris Middleton, Jrue Holiday und Brook Lopez bleiben die Bausteine der Meistersaison den Bucks langfristig erhalten. Auch wenn die Konkurrenz enorm stark ist, sind die Bucks einer der Favoriten auf den Titel 2022.
„Ich hätte mir niemals erträumt, dass dieser Moment jemals kommen würde. Ich wollte nur Basketball spielen, um meinen Eltern aus schwierigen Zeiten herauszuhelfen“, sagt Giannis nach dem Pokaltriumph. Der erst 26-Jährige ist weiterhin demütig, alles andere als abgehoben – aber auch humorvoll: Einen Tag nach seinem 50-Punkte-Spiel ordert er 50 Chicken Nuggets beim lokalen Drive-In.
Mittlerweile muss Giannis seine Schuhe nicht mehr mit Thanasis teilen, der ebenfalls für die Bucks spielt und als Bankspieler einen kleinen Beitrag zum Titel leistet. Früher hat Giannis Antetokounmpo Souvenirs verkauft – heute ziert sein Konterfei T-Shirts, Kappen und Trikots. Und auf dem Betonplatz in Sepolia, auf dem er das Basketballspielen gelernt hat, ist Giannis heute auf einem überlebensgroßen Porträt verewigt.

bisher der interessanteste artikel den ich lesen durfte, großes dankeschön dir dafür diggi