Sonstiger Sport

Wie Fußball, Handball und andere Sportarten von Regeländerungen profitieren könnten

Lee Fraser (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:12._Emma_Hayes_(21964566975).jpg), „12. Emma Hayes (21964566975)“, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode

Manche Sportarten sind zögerlich und träge bei der Einführung neuer Regeln. Andere sind dafür so empfänglich wie DAZN für Preiserhöhungen. Problematisch wird es, wenn eine Sportart von ihrer ursprünglichen wie erfolgreichen Version entfremdet wird. Wahllos neue Regeln einzuführen, ist daher nicht zielführend. Es geht darum, den jeweiligen Sport attraktiver, fairer und vielleicht spannender zu machen und dabei den Reiz der Sportart beizubehalten.

Welche Sportart könnte von der ein oder anderen Regeländerung profitieren:

Fußball:

Fußball ist eine der wenigen Sportarten, vielleicht die einzige, in der die spielerisch schlechtere und technisch weniger begabte Mannschaft ein Spiel gewinnen kann. Dank herausragender Defensivarbeit und Fokus auf Konter und Standardsituationen haben im DFB-Pokal schon Viertligisten gegen Mannschaften aus der 1. und 2. Bundesliga gewonnen. Darin liegt der Reiz – und der sollte erhalten bleiben. Im Basketball oder Handball kann eine Mannschaft kein Spiel gewinnen, wenn sie sich ausschließlich auf das Verteidigen des eigenen Tores beziehungsweise Korbs konzentriert. Aufgrund dieses Alleinstellungsmerkmals muss man in Kauf nehmen, dass es immer wieder defensiv geprägte Spiele gibt, die Offensivfußballfreunden nicht gefallen werden. Trotzdem gibt es Regeländerungen, die das Spiel fairer, ansehnlicher und spannender machen können.

Die leidige Handspielregel

Nicht nur im Profifußball ist die Auslegung der Handspielregel an fast jedem Wochenende ein Aufreger. Oft wird Elfmeter gepfiffen, wenn ein Spieler den Ball mit der Hand berührt, oft aber auch nicht. Bei absichtlichen Handspielen im Strafraum sollte immer auf Handelfmeter entschieden werden, aber was ist, wenn der Verteidiger den Arm am Körper angelegt hat? Ich finde: Wenn der Verteidiger seinen Arm eng am Körper angelegt hat und bei Flanken oder Schüssen den Ball mit dem Unterarm, Ellenbogen oder Oberarm berührt, sollte nicht auf Handspiel entschieden werden.

Im Januar 2016 sprach sich Gary Lineker in einem Tweet dafür aus, dass jedes Mal auf Freistoß oder Elfmeter entschieden werden sollte, wenn der Ball die Hand eines Spielers berührt – unabhängig davon, ob es Absicht war oder nicht. Lineker wollte Einheitlichkeit, wodurch die Entscheidungsfindung vereinfacht werden würde. Aber würde diese Regeländerung dem Spiel dienen? Spieler würden versuchen, dem Gegner im Strafraum absichtlich an die Hand zu schießen. Die Anzahl an Elfmetern würde weiter steigen. Fraglich, ob das im Sinne von Zuschauern und Spielern ist.

Im Fußball gibt es eine Reihe von subjektiven Entscheidungen, zum Beispiel bei Foul- und Handspielen. Nur in Sachen Abseits oder der Frage, ob der Ball die Torlinie überquert hat, ist Objektivität möglich. Problem ist nicht die Tatsache, dass es subjektive Entscheidungen gibt, sondern dass ein Schiedsrichter ein Handspiel ahndet, das ein anderer eine Woche später durchgehen lässt.

VAR-Überprüfungen nur noch für objektive Entscheidungen

Der Video Assistant Referee (VAR) gibt immer wieder Anlass für Diskussionen. Die intransparente Kommunikation zwischen Schiedsrichter und VAR sorgt für Kritik: Für Außenstehende ist nicht ersichtlich, wie die Entscheidung zustande kommt und wer verantwortlich ist.

Würde man die Cheftrainer mit Challenge-Flags ausstatten (wie im American Football), ließe sich mehr Klarheit schaffen. Zweifeln die Cheftrainer die Entscheidung des Referees an, werfen sie einfach eine ihrer beiden roten Flaggen aufs Spielfeld. Ähnlich wie derzeit beim VAR sollte eine Challenge solange möglich sein, bis der Ball das Spielfeld verlässt (z.B. über die Auslinie rollt) oder das Spiel durch einen Pfiff unterbrochen wird. Anschließend muss die angezweifelte Situation per Videobeweis überprüft werden.

Pro Spiel hat ein Cheftrainer eine bestimmte Anzahl an Anfechtungen, beispielsweise eine pro Halbzeit. Dies würde sicherstellen, dass die Spiele weiterhin in ihrem natürlichen Tempo ablaufen und spekulative Anfechtungen verhindert werden, die darauf abzielen, gegen Ende des Spiels ein paar Sekunden zu schinden. Um Zeitspiel zu unterbinden, gäbe es eine weitere Idee, auf die später im Text eingegangen wird. Die Cheftrainer würden es sich ganz genau überlegen, bei welcher Szene eine Challenge sinnvoll wäre. Im Zweifel würde der Pfiff des Schiedsrichters bestehen bleiben.

So bräuchte es einen VAR-Assistenten nur noch, um faktisch objektive Entscheidungen wie Abseits und Linienüberschreitungen zu überprüfen. Die oben beschriebene Regeländerung würde damit auch den Schiedsrichter und dessen Entscheidungskompetenz stärken. Ein weiterer Vorteil wäre, dass auch Freistöße in Strafraumnähe durch eine Challenge überprüft werden könnten. Diese werden bisher nicht vom VAR überprüft.

60 gestoppte Minuten statt 90 Minuten plus Nachspielzeit

Eine andere Regeländerung könnte in der Einführung der 60-Minuten-Nettospielzeit liegen. Auch wenn diese Website dann in 40sechzig60.de umbenannt werden müsste. 😉 Berechnungen des Fußballweltverbands FIFA haben gezeigt, dass der Ball innerhalb eines 90-minütigen Spiels in den besten europäischen Ligen nur zwischen 50 und 60 Minuten rollt. In der Bundesliga beträgt die reine Spielzeit 53:16 Minuten, in der Premier League erreicht sie einen Wert von 54:49 Minuten.

In der Champions League ist der Ball mit 58:07 Minuten deutlich länger im Spiel. „Die effektive Spielzeit bei Aston Villa gegen Brentford betrug 43 Minuten. Ich glaube nicht, dass jemand für ein Spiel zahlen will, das 43 Minuten dauert“, sagte FIFA-Schiedsrichterchef Pierluigi Collina, der zu seiner aktiven Zeit sechsmal zum Weltschiedsrichter des Jahres gewählt wurde.

Mit der 60-Minuten-Nettospielzeit würde vor ruhenden Bällen (Freistößen, Ecken, Elfmetern, Abstößen, Einwürfen, Zeit zwischen Tor und Anstoß) oder bei Ein- und Auswechslungen die Zeit gestoppt werden. Jegliche Form von Spielverschleppung wäre somit sinnlos oder käme zumindest wesentlicher seltener vor. Zeitspiel könnte von einem Team höchstens noch dafür eingesetzt werden, um den Spielfluss zu unterbrechen. Aber in diesem Fall könnte der Schiedsrichter dem betreffenden Spieler eine gelbe Karte geben.

Unbegrenzte Wechselmöglichkeiten

Der Fußball tut sich traditionell schwer mit Regeländerungen, das wissen auch die Klubverantwortlichen. „Man muss über alles ergebnisoffen diskutieren dürfen, damit mehr Attraktivität entsteht: größere Tore, größerer Strafraum, Spielzeit, fliegende Wechsel. Einfach alles mal diskutieren“, sagte Fußballfunktionär Max Eberl im Interview mit dem Kicker. „Manche Themen werden schon im Keim erstickt und keiner traut sich mehr, irgendeine Position einzunehmen“, führte er aus. „Spielen wir weiter 90 Minuten, oder spielen wir dreimal 30 Minuten? Gibt es andere Möglichkeiten des Wechselns? Es gibt so viele Themen, wo man mal ganz verrückt denken sollte, ohne dass diese Gedanken gleich vernichtet werden“, forderte der Ex-Fußballprofi.

Im Handball und Basketball gibt es die unbegrenzte Möglichkeit des Ein- und Auswechselns, im Eishockey ist sie aufgrund der körperlichen Belastung unabdingbar. Der Fußball sträubt sich noch dagegen, aber auch hier ist eine Entwicklung sichtbar: Seit den Corona-Jahren sind statt drei fünf Einwechslungen erlaubt. Trotzdem kommen immer noch nicht alle Akteure des Spieltagskaders zum Einsatz, vor allem junge Talente schmoren oft für 90 Minuten auf der Ersatzbank. Eine unbegrenzte Zahl an Wechseln würde etwa den Stammspielern kurze Verschnaufpausen ermöglichen und mehr Raum für taktische Anpassungen eröffnen; das Spiel würde insgesamt schneller und dynamischer werden.

Umgestaltung des Elfmeterschießens

Auch das Elfmeterschießen könnte modifiziert werden: Derzeit wechseln sich beide Mannschaften bei ihren Strafstößen ab, das heißt, dass ein Team stets nachziehen muss. Dadurch entsteht für das zweite Team ein besonderer Druck, der im Verlauf des Elfmeterschießens unfair sein kann – vor allem, wenn das erste Team seine Elfmeter verwandelt. Eine Möglichkeit besteht darin, zu einer Struktur wie beim Tiebreaker-Format im Tennis überzugehen. Bei diesem Format würde die Reihenfolge des Schießens folgendermaßen aussehen:

England
Deutschland
Deutschland
England
England
Deutschland
Deutschland
England
England
Deutschland

Oder wie wäre es, das Elfmeter- durch Penaltyschießen zu ersetzen? Anstatt eines ruhenden Balles aus elf Metern muss jeder Spieler von der Mittellinie auf den Torhüter zulaufen. Dadurch würde das Spannungsmoment erhalten bleiben und gleichzeitig ein spielerisches Element hinzugefügt werden. Zur Probe könnte man einen Testlauf in einer unteren Liga durchführen.

Kleinere Tore im Frauenfußball

In den letzten Jahren ist der Frauenfußball populärer geworden. Doch könnte man die positive Entwicklung nicht noch mehr beschleunigen? Emma Hayes, Trainerin des FC Chelsea, schrieb in ihrer Kolumne für die Times einmal: „Das Torwartspiel wird im Frauenfußball oft kritisiert. Ich würde meinen, das Tor ist einfach ein bisschen zu groß.“ Und: „Wenn die körperlichen Unterschiede berücksichtigt werden würden, dann würden wir über großartige Torhüterinnen sprechen – anstatt sie bloßzustellen.“ Ihrer Einschätzung nach würden kleinere Tore Torhüterinnen zugutekommen. „Anstatt das Spiel der Männer nur zu spiegeln, müssen wir es zu unserem eigenen Sport machen und an unsere körperlichen Voraussetzungen anpassen – mit allen taktischen Folgen.“ Frauen sind im weltweiten Durchschnitt zwölf Zentimeter kleiner als Männer, das schlägt sich aber nicht im Fußball nieder.

Lee Fraser (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:12._Emma_Hayes_(21964566975).jpg), „12. Emma Hayes (21964566975)“, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode

Auch über weniger lange und breite Spielfelder könnte man nachdenken. Für Frauen ist es deutlich schwieriger, elf oder zwölf Kilometer pro 90 Minuten zu laufen und so schnell zu sprinten wie Männer. Die TAZ schrieb 2019: „Anpassungen an unterschiedliche physische Voraussetzungen gibt es ja überall im Sport. Die Hürden der Frauen sind in der Leichtathletik niedriger als die der Männer, die Kugel ist leichter, Speer und Diskus sind es auch. Fußballerinnen und Fußballer spielen in früher Jugend auf einem kleineren Spielfeld, schießen auf kleinere Tore, kicken gegen einen leichteren Ball. Natürlich können Frauen auch einen 2-Kilo-Diskus in den Himmel wuchten, keine Frage, aber die Gewichtsunterschiede wurden gemacht, um die Weiten der Männer und Frauen einander anzugleichen.“

Tieferer Korb beim Frauenbasketball

Aber nicht nur im Frauenfußball orientiert man sich an den Männern: Im Basketball spielen Frauen mit kleineren Bällen, der Korb hängt wie bei den Männern allerdings in 3,05 Meter Höhe. Der ehemalige NBA-Superstar Shaquille O’Neal hat angeregt, den Korb in der WNBA den Korb ein paar Zentimeter tiefer zu hängen, damit Dunkings von Frauen nicht mehr nur sporadisch vorkommen.

Handball:

Seit ein paar Jahren gibt es im Handball die Regel, dass die angreifende Mannschaft noch sechs Pässe spielen darf, sobald der Schiedsrichter seine Hand hebt. So soll Zeitspiel verhindert werden. Doch der Zeitpunkt, wann ein Schiedsrichter seine Hand hebt, ist subjektiv gewählt. Ein Schiedsrichter hebt nach 38 Sekunden Angriffszeit seine Hand, ein anderer nach 28. Vor allem am Ende von Spielen hat man den Eindruck, dass Schiedsrichter schneller die Hand heben als noch am Anfang von Spielen. Die Einführung einer Shotclock, zum Beispiel von 30 Sekunden, würde diesem Sport weiterhelfen. Es wäre objektiv und fair, da beide Mannschaften sich auf eine Zeit einstellen könnten und nicht auf den Stil des Schiedsrichters.

American Football:

Wie oben ausgeführt, dürfen Head Coaches im American Football strittige Situationen per Challenge anzweifeln. Doch diese Möglichkeit beschränkt sich auf „penalties“, die vom Schiedsrichter erkannt und verhängt wurden. Doch warum sollten die Trainer nicht auch die Option haben dürfen, auch „uncalled penalties“ zu challengen? 2014 schlugen die New England Patriots aus der NFL vor, alle Entscheidungen auf dem Spielfeld anzufechten, mit Ausnahme von Scoring Plays und Turnovers (die automatisch überprüft werden). Denn auch „No-Calls“ können den Ausgang des Spiels drastisch beeinflussen, zum Beispiel ein nicht gepfiffenes Holding.

Des Weiteren könnte man bei der Bestimmung von Down-and-Distance und neuen First Downs die altbewährte Chain Gang durch technische Hilfsmittel ersetzen. Wie wird das aktuell gehandhabt? Besonders bei Laufspielzügen ist der Spot des Balls schwer zu bestimmen. Der Schiedsrichter, der den Ball erkennen soll, muss nach dem Spielzug zur Spielertraube laufen und den Football greifen, während die Spieler aufstehen. Wo der Vorwärtsgang zum Erliegen kam, hängt hingegen von der Schätzung der Schiedsrichter an der Seitenlinie ab.

Unter Verwendung von Kamerawinkeln, GPS und/oder eines in den Ball eingebetteten Mikrochips können deutlich genauere Messungen erreicht werden. „Wir haben einen Mann auf den Mond gebracht! Wir können das schaffen“, schrieb The Ringer 2017 in einem Text mit dem Titel „The Rule Changes We’d Make to Improve the NFL“ („Die Regeländerungen, die wir vornehmen würden, um die NFL zu verbessern“).

Motorsport:

Für Laien und selbst für Fans mag es schwer einzuschätzen sein, welcher Fahrer in der Formel 1 oder in anderen Fahrzeugklassen der beste ist. Viel hängt von der Qualität der Konstrukteure des Rennstalls ab. Warum muss nicht jeder Fahrer mit dem gleichen Auto (und beim Motorradfahren jeder mit dem gleichen Motorrad) fahren? Wäre das nicht deutlich spannender?

Diese Auflistung ist eine unvollständige Sammlung von Vorschlägen. Natürlich gäbe es noch viele andere Sportarten, in denen bestimmte Regeländerungen sinnvoll sein könnten. Aber bei allen Innovationsgedanken sollte der Grundcharakter jeglicher Sportarten bewahrt werden.

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