Das Skispringen auf der legendären Bergiselschanze in Innsbruck ist häufiger eine Lotterie. Die Wetterbedingungen machten schon vielen Top-Springern einen Strich durch die Rechnung. 2014 und 2017 fiel sogar der übliche zweite Durchgang aus, da einerseits der Wind nicht mitspielte und andererseits die Schanze kein Flutlicht besitzt, sodass spätestens um 17 Uhr Schluss sein muss. 2018 fand der zweite Durchgang statt, ein aussichtsreicher Deutscher war am Ende jedoch nicht mehr dabei.
Kamil Stoch aus Polen beherrscht momentan die Vierschanzentournee. Nach seinen Erfolgen in Obersdorf und Garmisch-Partenkirchen, triumphierte der 30-jährige auch in Innsbruck. Der Deutsche Richard Freitag schien ein ebenbürtiger Gegner zu sein, bei beiden Springen zuvor belegte er jeweils Platz zwei. Und auch der erste Sprung Freitags sah flüssig und locker aus – bis zur Landung. Nach 130 Metern Flug versuchte er einen Telemark, anders als Andreas Wellinger, der bei 133 Metern wenige Minuten zuvor darauf verzichtet hatte.
Doch auch wenn die Windbedingungen während des Flugs durchaus schlechter hätten kommen können, verkreuzten sich bei der Bodenberührung beide Skienden. Die Sicht war durch den permanenten Regen ohnehin schlecht. Freitag strauchelte, seine Beine drifteten fast in einen Spagat, dann stürzte er kopfüber in den Schnee. Glücklicherweise konnte der 26-jährige aufstehen, zunächst mit Hilfe, kurze Zeit später war er wieder selbst auf den Beinen. Der Tournee-Gesamtsieg war gelaufen, nach einem winzigen Moment der Unachtsamkeit.

Schuster kritisiert Rennleitung
Dass solche Sprungweiten nicht ungefährlich waren, machte sich unmittelbar danach bemerkbar, als Kamil Stoch ebenfalls leichte Probleme bei der Landung hatte. Sein Trainer Stefan Hornegger hatte nach Freitags und vor Stochs Sprung den Anlauf um eine Luke verkürzt. Darauf hatte Deutschlands Bundestrainer Werner Schuster zwar verzichtet, doch er und sein Trainerteam hatten genau wie die Polen vor dem Start um eine weniger aggressive Führung des Springens gebeten.
DSV-Sportdirektor Horst Hüttel sagte nach dem Sturz Freitags: „Wir haben der Jury gesagt, dass sie defensiver agieren soll. Das ist leider nicht passiert und macht es umso bitterer.“ Auch Schuster haderte vor allem mit dem Norweger Steiner Loeng, der in Innsbruck an der Spitze des dreiköpfigen Gremiums der Rennleitung stand. „Es war definitiv zu viel Anlauf. Bei diesen Bedingungen darf man die Sportler nicht so weit springen lassen. Es ist die falsche Wettkampfführung für diese Aufsprungpräparierung.“
Im zweiten Durchgang hatte Stoch mit einem Satz auf 128,5 Metern wenig Mühe, seinen Spitzenplatz zu verteidigen. Er gewann schließlich vor Daniel Andre Tande aus Norwegen und Andreas Wellinger aus Deutschland. Stoch hat am Samstag in Bischofshofen die Möglichkeit, alle vier Springen für sich zu entscheiden. Der letzte und einzige Tournee-Dominator, dem das glückte, war Sven Hannawald 2002.
Durch Freitags Ausfall ist Wellinger in der Gesamtwertung auf Platz zwei gerutscht, vor dem Japaner Junshiro Kobayashi. Der Abstand beträgt aber schon über 60 Punkte. Stoch müsste stürzen, damit ihm der Gesamtsieg noch entrissen werden könnte. Für Richard Freitag, bei dem im Krankenhaus keine schweren Verletzungen festgestellt wurden, ist die Tournee möglicherweise vorbei. Doch ein Einsatz beim Skifliegen am Kulm am nächsten Wochenende erscheint nicht völlig abwegig. Kamil Stoch erklärte nach dem Wettkampf sein Mitgefühl, für Freitag tue es ihm „wahnsinnig leid“. Dann sagte er mit einer im Skispringen notwendigen Portion Pragmatismus: „Das ist unser Sport, Situationen wie diese passieren nun mal.“