Fußball

Fußball: Ort der schlechten Ereignisse bricht Rekorde

Benevento Calcio ist im Mai 2017 überraschend in die erste italienische Liga Serie A aufgestiegen. Nach den ersten 16 Spielen ist Ernüchterung eingekehrt. Dennoch: Ein Erlebnis sticht heraus. Die Spieler werden wohl noch in Jahrzehnten mit einem Lächeln daran zurückdenken.

Ursprünglich hieß die 60.000 Einwohner Stadt in der Region Kampanien Maleventum. Aus dem Lateinischen übersetzt, bedeutet dies „Ort der schlechten Ereignisse“. 300 vor Christus eroberten die Römer die Stadt, mit deren Namen sie nicht einverstanden waren. Aus Maleventum wurde Beneventum, der „Ort der guten Ereignisse“. Nachdem ein heiliger Baum entwurzelt wurde, war die Legende vom mystischen Ort geschaffen. Man erzählte sich, dass Hexen in besonderen Nächten zu jenem Ort fliegen, an dem der Baum stand. Heute noch ist der Platz ein Treffpunkt für Menschen, die sich mit Geistergeschichten identifizieren und jährlich in Hexenkostüme schlüpfen.

Doppelter Aufstieg

Sogar der heimische Fußballklub Benevento Calcio pflegt die Legende. Das Vereinswappen zeigt eine schwarze Hexe auf einem Besen. Groß aufgefallen ist der Verein in all den Jahren seit der Gründung 1929 nicht wirklich. Da half auch das außergewöhnliche Logo nicht viel. 2016 gelang Benevento jedoch der Aufstieg in die Serie B. Unter Trainer Marco Baroni schaffte die Mannschaft in der Folgesaison nicht nur den Klassenerhalt, sondern auch den fünften Platz.

In Italien lebte die minimale Chance auf den Aufstieg weiter, denn selbst der Achtplatzierte kann sich theoretisch noch qualifizieren. Für Benevento lief das Frühjahr wie gemalt. Im Finale der Playoffs schlug man den FC Carpi (Carpi ist nicht Capri). Zum ersten Mal in der Historie war die Stadt der Hexen im Konzert der Prinzen und Grafen.

Wer nach den beiden Aufstiegen gerechnet hat, dass aus Benevento das neue Leicester City wird, sollte falsch liegen. Allen war von Anfang an klar: Um oben zu bleiben, benötigt es Glück, Kampfgeist und den ein oder anderen Gegner, der Benevento unterschätzt. Die sportliche Leitung vertraute allerdings nicht allen Leistungsträgern aus dem Aufstiegsjahr. 24 neue Spieler kamen, 21 mussten gehen.

Truppe der Namenlosen

Im aktuellen Aufgebot sucht man vergebens nach Stars. Nahmhafte Profis? Mangelware. Danilo Cataldi, ausgeliehen von Lazio Rom, kennt man am ehesten. Oder den 31-jährigen Ledian Memushaj, der 23 Länderspiele bestritten hat für Albanien. Viele Profis sind Anfang bis Mitte 20, waren dritte Wahl und ohne Einsatzchancen bei den Topklubs wie dem AS Rom oder Inter Mailand. Benevento schlug per Leihgeschäft zu in der Hoffnung, dass sie im beschaulichen Süditalien den nächsten Schritt gehen.

Hoffen kann man vieles, die Realität sieht derzeit düster aus. Dabei fing alles so toll an, mit dem Führungstor im Premieren-Spiel gegen Sampdoria Genua. Nach 90 Minuten hieß es 1:2 und eine gespenstische Serie nahm seinen Lauf. Aus den ersten 14 Spielen holte Benevento keinen Sieg. Nicht mal einen Punkt. Nur Niederlagen! Schlechter als der 1. FC Köln und Manchester United aus der Saison 1930/1931, die in den ersten 12 Spielen von einem Misserfolg zum nächsten eilten. Dabei stand Benevento zahlreiche Male vor einem Punktgewinn.

Gegen den FC Turin fing man sich das 0:1 in der 93. Minute, gegen Cagliari Calcio reichte der Ausgleichstreffer durch Pietro Iemmello in der 94. Minute nicht zum Remis – Cagliari kam mit dem letzten Angriff des Spiels zum 2:1. Mittlerweile war Trainer Baroni durch Roberto de Zerbi ersetzt worden. Doch auch der Neue vermochte es nicht, die fußballerischen Mängel zu kaschieren.

Bei Juventus Turin führte Benevento immerhin bis zur 57. Minute. Als brachialster Nackenschlag gilt jedoch die Partie gegen US Sassuolo am 13. Spieltag. Alles schien auf ein Unentschieden hinzudeuten. Der Elfmeter in der Nachspielzeit für Sassuolo ließ die Pulsadern der Fans noch einmal anschwellen. Aber Domenico Berardi zielte an die Latte. „Macht nichts“ dachte sich Sassuolo. 93. Minute, Eckball, Kopfball Federico Peluso, Tor. 2:1 Sassuolo. Benevento schnappte sich damit den unrühmlichen Rekord von Manchester United.

Ein einzelnes Lebenszeichen

Peinliches Unvermögen, Pech, fehlende Qualität und der Schwung des Aufstiegs, der längst verpufft ist. Es gibt zahlreiche Gründe, warum das Team chancenlos ist. Präsident Oreste Vigorito hat die Hexen in Verdacht. „Die Schuld liegt bei den bösartigen Einflüssen, die immer mit dieser Stadt in Verbindung gebracht werden. Ja, es ist wahr. Ich bin abergläubisch“.

Zwei Wochen nach der dramatischen Last-Minute-Pleite gastierte der AC Mailand im Stadion von Benevento, vor 15.700 Zuschauern. Der mehrmalige Championsleaguesieger gegen einen der größten Außenseiter der Ligageschichte. Obwohl die „Rossonieri“ den eigenen Ansprüchen hinterherlaufen, gingen sie als klarer Favorit ins Spiel. Aber an diesem 3. Dezember kam Milan schwer in die Gänge.

In der 38. Minute gingen sie zwar durch Giacomo Bonaventura in Führung, kurz nach der Pause glich George Puscas aber zum 1:1 aus. Das Stadion hat kein Dach, wenn es eines hätte, wäre es in diesem Moment weggeflogen. Jeder Eckball, jeder gelungene Laufweg, jede schöne Flanke wurde von Benevento-Fans bejubelt als wäre das ein Tor. Ein Treffer gegen den Weltklub – Ekstase pur. Nikola Kalinic brachte Mailand kurze Zeit später wieder in Front. Benevento gab sich trotzdem nicht auf. Obwohl der Verlauf des Spiels ihnen bekannt vorkommen durfte.

Die rote Karte von Milans Verteidiger Alessio Romagnoli markierte schließlich einen Wendepunkt. Von nun an zog sich Mailand tief in die eigene Hälfte zurück. Benevento drängte auf das Tor. Ästhetischer Ein-Kontakt-Fuball war es nicht gerade, was Benevento auf dem Rasen zeigte. Die Entschlossenheit war ihnen aber anzumerken. In der 5. Minute der Nachspielzeit entschied der Schiedsrichter auf Freistoß für Benevento Calcio auf Linksaußen.

Brignoli bringt Benevento zum Beben

Es sollte nicht die allerletzte Aktion des Spiels sein, aber auch Torwart Alberto Brignoli hatte sich in den gegnerischen Strafraum aufgemacht. Ein Torhüter hatte in der Serie A seit 16 Jahren nicht mehr getroffen. Diese Serie sollte nun zu Ende gehen. Und wie, mit einem Flugkopfball in die lange Ecke sorgte Brignoli dafür, dass sich das imaginäre Dach ein zweites Mal von der Tribüne löste. Wenige Augenblicke danach war das Spiel aus. Beneventos Spieler feierten ihren ersten Punkt wie Schulkinder auf der Kirmes, während Milans neuer Trainer Gennaro Gattuso zerknirscht vom Platz stapfte. Die Tabelle ist immer noch zum Haare sträuben, dieses Highlight im Advent nimmt Brignoli und Co. jedoch niemand mehr.

 

https://sporticos.com/de/benevento-calcio-vs-ac-mailand
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Gestern verlor die Mannschaft bei Udinese Calcio mit 0:2. Sie sahen wieder aus wie in den Wochen vor Mailand. Ihre spielerischen Schwachstellen wurden gnadenlos offengelegt. Nicht ohne Grund hat Benevento statistisch gesehen den schlechtesten Angriff und die mieseste Verteidigung der Liga. Als Memushaj oder Samuel Armenteros gute Tormöglichkeiten hatten, scheiterten sie fast schon slappstickhaft.

Selbst die Optimisten unter den Fans wissen, dass eine weitere Saison in der Serie A nur auf der Playstation möglich sein wird. Für den Ligaerhalt benötigte man in den letzten vier Jahren in Italien durchschnittlich 34 Punkte. Benevento müsste aus den verbleibenden 22 Spielen 11 Siege einfahren. Klingt reichlich ambitioniert. Aber vielleicht gibt es in Maleventum bald nette Hexen, die Wunder Wirklichkeit werden lassen. Wer weiß.

 

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