Deutschlands amtierender Meister brose Bamberg spielt eine seltsame Saison. Einmal gelingt es ihnen 26 Punkte gegen den FC Barcelona aufzuholen, das andere Mal setzt es eine Klatsche gegen Bonn oder Ludwigsburg in der Bundesliga. Vor der entscheidenden Saisonphase gilt es jetzt, die Fehler abzustellen und die eigenen Stärken zu betonen.
7600 Flugkilometer hat brose Bamberg jüngst innerhalb von zehn Tagen zurückgelegt. Aus der Domstadt nach Barcelona, nach München, dann Moskau, nur zwei Tage später in Bonn. Auf dem Parkett bedeutete das: Eine solide Vorstellung in Spanien, ein Abriss hoher Qualität im Pokal gegen die Bayern, aber auch chancenlose Oberfranken beim Tabellenführer der Euroleague aus Moskau. Doch was vergangenen Sonntag passierte, stellte den Tiefpunkt der bisherigen Saison dar. Gegen die Telekom Baskets Bonn spielte Bamberg von Beginn an wie eine erschöpfte Altherrenmannschaft.
Der amtierende deutsche Meister musste sich mit 69:106 geschlagen geben. Freilich fehlte auf Bamberger Seite neben den Längerverletzten Elias Harris, Luka Mitrovic und Bryce Taylor auch Daniel Hackett aufgrund einer Fingerverletzung. Daneben traf man nicht einmal 48 Stunden nach dem Duell gegen die momentan beste Mannschaft Europas auf einen unangenehmen, an diesem Tag höchstmotivierten Gegner. Gewiss das Team muss weiterhin auf den an der Schulter operierten Trainer Andrea Trinchieri verzichten, doch besonders die leblose Verteidigung wird Aushilfschef Ilias Kantzouris Schweißperlen auf das dünn bedeckte Haupthaar getrieben haben.
Unruhe ist in Bamberg nicht erst seit dem Fauxpas in Bonn spürbar. In der Liga steht das Team auf Platz sieben, sogar die Playoffs könnten in Gefahr sein. In der Euroleague ist dem Serienmeister nach erfolgreichem Start ein wenig die Luft ausgegangen (8 Siege, 13 Niederlagen). Der 95:74-Sieg gegen Spitzenverein Panathinaikos Athen am Freitag war nicht vorauszusehen, aber er steht sinnbildlich für eine bisherige Saison der Achterbahnfahrten.
Heute Weltklasse, morgen Kreisklasse
Diese Unkonstanz hat nicht die eine spezielle Ursache. Unstreitig ist die Spielbelastung und allen voran Reisestrapazen nach Russland, in die Türkei oder Israel. Dazu kommt das verletzungsdezimierte Team, das mit Dorell Wright im November und Dejan Musli im Dezember zwei Profis zu integrieren hatte. Quincy Miller, als Hoffnungsträger verpflichtet, bestritt nur das erste Bundesligaspiel, verkrachte sich mit Trinchieri und ist längst nicht mehr in Bamberg, wo er Nachfolger von Darius Miller werden sollte.
Doch auch ein Spieler, der aktuell die zweitmeiste Spielzeit aller Akteure einstreicht, wandelt zwischen Genie und Wahnsinn – mit Tendenz zu letzterem. Die Rede ist von Ricky Hickman, mit 32 Jahren soll er gemeinsam mit dem 34-jährigen Nikos Zisis und Daniel Hackett die Mannschaft anführen. Doch trifft er mal zwei Dreier in Folge, scheitert Hickman im nächsten Angriff mit einem Unterhandkorbleger, zu ungestüm gegen einen 2,10 Meter Riesen.
Bei keinem anderen Spieler sind die Schwankungen offensichtlicher. Er ist der lebende Beweis für Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Hickman hat in der Euroleague bislang 34 Dreier getroffen, dafür benötigt er allerdings 109 Versuche. Effizient ist das nicht. Beim Spiel gegen Valencia führte er Bamberg mit 26 Punkten zum Heimsieg und man könnte den Eindruck gewinnen, als sei er der kühle Kopf schlechthin.
In der Eins-gegen-Eins-Verteidigung ist der 1,89 Meter lange Spielmacher meist mit seinem Gegenspieler überfordert. Trinchieri versucht ihm daher oft einen deutlich größeren Angreifer gegenüberzustellen, seine Schwächen sind so weniger auffällig. Im Lowpost kann er überraschenderweise seinen Gegner meist vor sich halten, manchmal kommt Augustine Rubit oder Leon Radosevic zum Doppeln, was den großen Spieler zum Weiterpassen verleitet.
Sowieso ist die Zahl fähiger Verteidiger im Vergleich zur Vorsaison nicht gerade gewachsen. Dejan Musli, ein typischer traditioneller Center, hat in der Pick and Roll-Verteidigung Probleme mit der Fußarbeit. Dorell Wright, langjähriger NBA-Spieler, wirkt oft unkonzentriert am defensiven Ende und scheint vom Naturell her eher ein offensiver Freigeist zu sein. Der Ausfall von Bryce Taylor schmerzt gerade deshalb, weil dieser als Distanzschütze und Verteidiger ein dringend gesuchtes Arbeitsprofil in Bamberg besetzen könnte.
Das es auch anders geht, legte der Auftritt gegen Athen nahe. Einzig Aufbauspieler Nick Calathes bereitete Bamberg Probleme, den Rest hatte man gut im Griff. Dazu profitiert Patrick Heckmann vom einstweiligen Trainerwechsel. Unter Kantzouris avanciert er zu einem wertvollen Rotationsspieler, wovon er unter Trinchieri zuletzt nur träumen durfte. Neben Heckmanns positivem Einfluss auf die Verteidigung, steht und fällt die Teamdefensive mit Daniel Hackett. Der 30-jährige hat sich mittlerweile zum Publikumsliebling gemausert. Während etwa Hickman hinten wenig mit Armeinsatz verteidigt, den Gegner beinahe mit Samthandschuhen begleitet, schmeißt sich Hackett rein.
Besonders die Aufstellung mit ihm und Maodo Lo überzeugt nicht nur defensiv, sondern auch wenn es um offensiven Output geht. Lo ist der bessere Mittel- und Weitdistanzschütze als Hickman und obwohl er fast immer von der Bank kommt, verpasst er dem Team eine signifikante Handschrift an beiden Enden des Feldes. Es verwundert daher, dass Lo knapp sieben Minuten weniger auf dem Feld steht als Hickman.
Offensiv Letzter in der Euroleague
Bambergs Probleme liegen nicht nur in der Defensive. In der Bundesliga erzielen sie nur noch 76,9 Punkte pro Spiel (2016/17: 83,4). International sind sie im Angriff von 16 Teams sogar das schwächste. Rubit und Radosevic strahlen aus der Mitteldistanz kaum Gefahr aus, an der Dreierlinie lässt der Gegner die beiden offen stehen, genauso wie Musli und den verletzten Mitrovic.
Einzig Nachverpflichtung Wright ist mit seinen 2,06 Meter der einzige von den langen Spielern, die sprichwörtlich heiß laufen können. Sein Zug zum Korb mit der linken Hand lässt sich schwer verteidigen. Manchmal packt Bamberg einen besonderen Spielzug aus. Das Pick and Roll von Power Forward und Center. Mit Wright und wahlweise Rubit. In möglichen Bundesliga-Playoffs könnten solche Spielzüge noch wichtiger werden. Doch auch Wright, der früher mit Dwayne Wade und Shaquille O‘ Neal zusammenspielte, lässt die Konstanz vermissen.
Da Bamberg Bryce Taylor nicht aufbieten kann, viele Edelschützen wie Darius Miller, Janis Strelnieks und Fabien Causeur den Verein verließen, müssen sich die Trainer im Ermöglichen offener Dreier mehr einfallen lassen als noch ein Jahr zuvor. Sogenannte Backscreens, also indirekte Blöcke in den Rücken des Gegners, sieht man häufig. Doch zum offenen Mann muss der Ball auch wandern. Dejan Musli, der in Korbnähe ein weiches Handgelenk besitzt, verpasst viele Anspiele aus kniffligen Situationen heraus. Sobald ihn zwei Gegenspieler decken, sollte er den Ball weiterspielen. Zwangsläufig ist ein Spieler offen, den Musli finden muss.
Augustine Rubit hat sich unterdessen zu einer der wichtigsten Angriffsoptionen entwickelt. Als der 28-jährige 2014 nach Tübingen kam, hatte ihm keiner zugetraut, irgendwann auf europäischem Spitzenniveau diverse Spiele zu dominieren. Am Freitag gegen Athen war er mit 26 Punkten Topscorer. Von der Freiwurflinie netzt er hochprozentig ein, so wie die meisten in der Mannschaft. Doch Rubit ist kein verlässlicher Dreierschütze wie noch Nicolo Melli im Vorjahr.
Durch den Mangel an Dreipunktewerfern, stellen sich Bambergs Kontrahenten enger auf, sodass der Platz knapper wird. Der Zug zum Korb wird so schwieriger. Statistisch gesehen liegt Bamberg aber immer noch bei guten 40 Prozent Dreierquote in der Bundesliga (2016/17: 41,4) und soliden 37,9 Prozent (2016/17: 40,1) in der Euroleague. Lucca Staiger, als reiner Dreierspezialist wertvoll, kann dazu beitragen, das Spielfeld wieder breiter zu machen. Er zeigt defensiven Einsatz, aber verschläft nicht selten Rotationen und kriegt deshalb mit die wenigsten Einsatzminuten im Bamberger Kader.

Beständiges Reboundproblem
Blickt man auf andere Fakten, springt einem ein Wert sofort ins Auge. In der Bundesliga belegt Bamberg mit durchschnittlich sieben Offensivrebounds pro Spiel den 18. und damit letzten Platz. Das mag zu Teilen an Trinchieris Strategie liegen, nach eigenen Fehlversuchen schnellstens den Gang in die Verteidigung anzutreten, doch dass sie fast komplett auf zweite Chancen verzichten, ist seltsam. In der Euroleague hapert es bei den Defensivrebounds. Viel zu häufig generiert der Gegner Punkte aus Bambergs Nachlässigkeiten.
Die fehlende Größe von Augustine Rubit und Luka Mitrovic, sowie Athletikdefizite auf höchstem Niveau eines Leon Radosevic machen sich hier bemerkbar. Doch auch in der letzten Euroleaguesaison hatten Bambergs Gegner Vorfahrt bei den Offensivrebounds. Bamberg verlor von 30 Spielen damals 20. Nach 21 Spielen stehen sie momentan bei acht Siegen. Damals waren sie in der Bundesliga erfolgreicher, den Turbo zündeten sie aber erst in den Playoffs – mit klaren Siegen gegen Bayern München und im Finale gegen Oldenburg.
Selbst wer Bamberg abschreibt, muss festhalten, dass sie nach dem Ende der Euroleague wesentlich ausgeruhter die entscheidenden Wochen angehen können. Doch erst einmal müssen sie es in die Playoffs schaffen. Am Sonntag spielen sie bei Alba Berlin, eine Woche später gegen den FC Bayern Basketball. Für Ilias Kantzouris könnte das erneut eine schweißtreibende Angelegenheit werden.