Bei Fans ist das Team Sky unbeliebt. Schon lange wird dem Rennstall vorgeworfen, den Graubereich der Legalität auszunutzen. Mancher Beobachter vermutet sogar gezielte Regelverstöße. Zudem warf die positive Probe von Chris Froome nicht nur ein schlechtes Licht auf ihn persönlich, sondern auch auf die Mannschaft und den Weltverband.
Geraint Thomas vom Team Sky durfte zehn Tage lang das Gelbe Trikot bei der Tour de France in Empfang nehmen, doch statt Applaus ertönten Buhrufe aus dem Publikum. Seit gestern darf sich der 32-jährige „Tour de France-Sieger 2018“ nennen lassen, Teamkollege Chris Froome wurde Dritter. Doch Erfolge und Symphatiewerte korrelieren beim britischen Team keineswegs.
Ein Zuschauer schubste während eines Rennens Chris Froome, vor ein paar Jahren wurde der Brite schon einmal mit Urin begoßen. Der viermalige Tour de France-Sieger steht gemeinsam mit seiner Mannschaft im Fadenkreuz der Fans. Auch wenn man solch schamlosen Protest nicht gutheißen kann – die Abneigung kommt nicht von ungefähr.
Null Toleranz-Politik ist widersprüchlich
Sky betrat vor rund acht Jahren die Radsport-Bühne und verkündete eine strikte Anti-Doping-Politik in einer Zeit, in der der Radsport mitten im Doping-Sumpf nur schwer zum Atmen kam. Trotzdem verpflichtete Sky den niederländischen Arzt Geert Leinders, der im Team Rabobank in Dopingpraktiken verstrickt war. Das Saubermann-Image des Teams bekam erste Kratzer. Auf Druck der Öffentlichkeit entließ man Leinders wieder.
Das Ergebnis einer Untersuchungskommission des britischen Parlaments brachte das Team im März 2018 weiter in Erklärungsnot. Offenbar soll Sky einst medizinische Ausnahmegenehmigungen genutzt haben, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Der frühere Profi Bradley Wiggins nahm 2012 das eigentliche Allergie-Spray Triamcinolon, das einen plötzlichen Gewichtsverlust zufolge hatte. Gegenüber seinen Widersachern hatte er in den Bergen einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. 2012 gewann der heruntergehungerte Brite die Tour de France und die Goldmedaille bei Olympia in London.
Hat Wiggins an Asthma gelitten?
Zwar bedeutete der Missbrauch von Triamcinolon keinen Verstoß gegen die Doping-Richtlinien, aber Wiggins hatte das Mittel nicht aus gesundheitlichen Gründen genutzt, sondern um seine Leistung zu steigern. Ethisch mehr als fragwürdig. Als der Fall schon 2016 durch eine russische Hackergruppe aufflog, hatte Wiggins damals behauptet: „Es ging nicht darum, einen unfairen Vorteil zu erlangen. Ich leide mein Leben lang unter Asthma. Ich bin damals zu meinem Teamarzt gegangen und wir haben einen Spezialisten aufgesucht, um die Probleme zu behandeln.“
Wolfgang Jelkmann, Direktor des Instituts für Physiologie in Lübeck, ist skeptisch. „Es ist unwahrscheinlich, dass ein Hochleistungssportler, zumal ein Radrennfahrer, so sehr unter Asthma leidet, dass man aus medizinischen Gründen dieses Glukokortikoid so hoch dosiert systemisch gibt“, sagte Jelkmann 2017 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Mysteriöse Bestellung
Die Vorwürfe reißen nicht ab. Wie die britische Daily Mail aufdeckte, soll der damalige Sky-Arzt Richard Freeman 2011 für den britischen Radsport-Verband sowie den eigenen Rennstall bei einem Medikamenten-Lieferanten Testosteronpflaster bestellt haben. Bevor die Lieferung eintraf, soll Freeman jedoch an die Firma eine Entschuldigung für eine versehentliche Falschlieferung verschickt haben.
Froomes erstaunlicher Leistungsanstieg
Auch der steile Aufstieg von Chris Froome zu Anfang der 2010er Jahre machte viele Beobachter stutzig. Bei der Tour de France 2008 landete er auf Platz 96, drei Jahre später wurde er bei der Vuelta d’Espana Zweiter. 2012 führte er als Edelhelfer Bradley Wiggins zum Tour-Sieg, ehe er 2013 alle anderen Fahrern mit großem Abstand dominierte. Bis auf 2018 und 2014, als ihn ein Sturz zur Aufgabe zwang, gewann er seit 2013 jede Auflage der Frankreich-Rundfahrt.
Umso erstaunlicher scheint sein Aufstieg mit Blick auf seine Erkrankung Bilharziose, die 2010 bei ihm diagnostiziert wurde und nach 18 Monaten angeblich ausgeheilt war. Danach wurde er immer besser in einem ungeheuren Tempo.
Die Dominanz von Froome bei großen Rundfahrten war furchteinflößend, was noch mehr Misstrauen erregt mit Blick auf seinen Fahrstil. Der deutsche Ex-Radfahrer Dietrich Thurau beschrieb seine Sitzposition einst als „schlecht und unorthodox“. Er als Fachmann wundere sich, wie das geht. Es wirkt maschinenhaft, wenn der Sohn einer Kenianerin und eines Briten in die Pedale tritt. Erst bei der diesjährigen Tour zeigte der 33-jährige Schwächen. Das Monopol auf den Gesamtsieg scheint nicht länger mehr zu gelten.
Positive Probe bei Froome im September 2017
Im September 2017 wurde ein erhöhter Grenzwert Salbutamol bei ihm festgestellt. Das Mittel sollte angeblich sein Asthma bekämpfen, ist zu einer Menge erlaubt, doch der Wert von Froome war um das Doppelte zu hoch.
Beim Giro d’Italia im Mai, den er obendrein noch gewann, durfte er starten, ohne dass sein Status geklärt war. Am 28. Juni stellte der Internationale Radsport-Verband UCI das Verfahren ein. In dem Statement heißt es: „Die Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur sieht vor, dass ein Athlet beweisen darf, dass sein abnormes Ergebnis die Folge einer erlaubten Verwendung war, wodurch der Fall nicht als Regelversoß zu werten ist.“ Diese Entscheidung fiel nach neunmonatiger Prüfung, kurz vor Tour-Beginn.
Der nächste Asthma-Patient?
Der deutsche Profi John Degenkolb wollte Froome persönlich keinen Vorwurf machen, aber er sagte: „Nicht durchschaubar ist, warum es nach neun Monaten immer noch keine Entscheidung gibt. Das kann niemand rechtfertigen.“ Froome reagierte erleichtert: „Ich bin sehr zufrieden, dass die UCI mich entlastet hat. Ich habe nie Zweifel gehabt, aus dem einfachen Grund, weil ich nichts falsch gemacht habe. Ich leide seit meiner Kindheit an Asthma. Ich kenne die Regeln bezüglich der Medikation genau.“
Momentan herrscht große Unklarheit, wie man den Fall Froome zu bewerten hat. Warum musste der Brite nicht selbst seine Unschuld beweisen? Warum durfte er beim Giro fahren? Und warum wurden Alessandro Petacchi (2008) für zehn Monate und Diego Ulissi (2014) für neun Monate gesperrt, obwohl auch bei ihnen ein erhöhter Wert Salbutamol festgestellt wurde.
Thomas noch nicht aufgefallen
Dass der Brite Geraint Thomas den Gesamtsieg einfuhr, dürfte die Tour-Veranstalter erleichtert haben. Bislang ist der Waliser noch nicht aufgrund von Doping oder durch Wandeln im halblegalen Grenzbereich aufgefallen. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass der Erfolg von Sky auf wackeligen Füßen steht.