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Slowenien: Kleines Land, ein Sportgigant

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Slowenien ist bekannt für seine Weinkultur oder die Drachenbrücke in der Hauptstadt Ljubljana, aber auch für eine ausgesprochen große Anzahl an Spitzensportlern.

Als der Präsident des Internationalen olympischen Komitees (IOC) Thomas Bach im April 2016 das neue olympische Trainingszentrum in Ljubljana einweihte, bezeichnete er das Land Slowenien als einen „Sportgiganten“. Eine Höflichkeitsformel oder ein treffendes Statement? Betrachtet man die Erfolge slowenischer Profisportler der vergangenen Jahre, kann man Bach keine geheuchelte Schmeichelei vorwerfen, sondern muss anerkennen, dass der umstrittene Präsident in diesem Fall durchaus Recht hat.

Slowenien grenzt an Österreich, Italien, Ungarn und Kroatien, misst gerade einmal 20.000 km² und hat nur 2 Millionen Einwohner. Während der Staat in Zentraleuropa im Atlas leicht übersehen wird, passiert das auf der sportlichen Landkarte kaum.

Die eben zu Ende gegangene Tour de France hat dem Land viel Aufmerksamkeit beschert. Über drei Wochen duellierten sich die beiden slowenischen Radprofis Primoz Roglic und Tadej Pogacar um den Gesamtsieg, wobei letzterer seinem Freund und Rivalen das gelbe Trikot des Führenden erst im Bergzeitfahren bei der vorletzten Etappe entriss.

Der 30-jährige Roglic begann seine Karriere als Skispringer und gewann bei der Junioren-WM 2007 sogar die Goldmedaille mit dem Team. Nach einem schweren Sturz beendete er 2011 seine Skisprungkarriere, zwei Jahre später startete er als Radfahrer durch. Schon 2016 gewann er eine Etappe beim Giro d’Italia, 2017 bei der Tour de France. Seit den vergangenen beiden Jahren wird Roglic als Kandidat für den Gesamtsieg großer Rundfahrten berücksichtigt. Im September 2019 gewann er die prestigeträchtige Vuelta d’Espana.

Pogacar kann so einen spektakulären Lebenslauf nicht vorweisen, zumindest war dem so bis Ende August. Seit seinem neunten Lebensjahr strampelt er sich auf dem Velo ab, anders als Roglic hat er einen geradlinigen Weg gewählt. Die letzten drei Wochen müssen ihm aber vorgekommen sein wie ein Märchen. Drei Etappensiege bei seiner ersten Tour de France-Teilnahme, der Gewinn des weißen Trikots für den besten Jungprofi und des rot-gepunkteten für den besten Bergfahrer und über allem stand der erstaunliche Umschwung im Gesamtklassement.

Roglic trug das gelbe Trikot seit der 9. Etappe, Pogacar nur auf dem letzten Abschnitt nach Paris. Angesichts dieser Wendungen im Sport verweist der deutsche Sportkommentator Frank Buschmann immer wieder auf die Tatsache „Am Ende kackt die Ente“ oder mit anderen Worten „Es ist erst zu Ende, wenn die dicke Frau gesungen hat“. Hinzu kommt, dass Pogacar am 21. September seinen 22 Jahre alt wird. Einen jüngeren Gesamtsieger gab es nur einmal, Henri Cornet 1904.

Aber nicht nur auf dem Rad, sondern auch in Ballsportarten landen Slowenen auf den ersten Plätzen. Der 21-jährige Basketballer Luka Doncic von den Dallas Mavericks wurde vor ein paar Tagen ins All NBA First Team berufen. An seiner Seite Giannis Antetokounmpo, LeBron James, James Harden und Anthony Davis. Ein Grieche, drei US-Amerikaner und ein Slowene sind das Maß der Liga.

Ein weiterer Slowene in Goran Dragic kämpft derzeit mit den Miami Heat um die NBA Finals. Bei der Basketball-EM 2017 liefen Routinier Dragic und Wunderkind Doncic gemeinsam für die Nationalmannschaft auf. Niemand hätte vor dem Turnier oder selbst nach der Gruppenphase damit gerechnet, dass Slowenien Europameister werden würde. Aber mit jedem Sieg wurde die Brust der Spieler breiter und das Kreuz kolossaler. Unter anderem schlug man Griechenland, Spanien und Frankreich. Im Finale besiegte Slowenien dann die Star-Truppe aus Serbien.

Mark Cuban, Besitzer der Dallas Mavericks, darf sich heute glücklich schätzen Luka Doncic in seinem Team zu haben. Im Dezember 2018 sagte er im Interview mit Eurohoops, dass die NBA tausendmal besser wäre, wenn man die jungen Basketballtalente in Slowenien ausbilden lassen würde. „Sie lernen dort einfach wie man Basketball spielt, während unsere Leute lernen, wie man dunkt und Highlightvideos produziert.“

Primoz Roglic sagte im Laufe der diesjährigen Tour de France: „Es gibt großartige professionelle Athleten in Slowenien in allen Arten des Sports, es ist eine zähe Nation und wir treiben uns gegenseitig an.“

Auch Sloweniens Handballnationalmannschaft der Herren fällt immer wieder positiv auf: Bei der WM 2017 holte die Landesauswahl Bronze, bei der EM 2020 ereichte sie mit Ex-Flensburg-Trainer Ljubomir Vranjes den vierten Platz. Nahmhafte Nationalspieler wie Jure Dolenec (FC Barcelona), Gasper Marguc (KZ Vezsprem) oder Miha Zarabec (THW Kiel) streifen sich ihre Leibchen für europäische Spitzenklubs über. Sloweniens 40.000 Einwohner-Stadt Celje beherbergt mit dem RK Celje Pivovarna Lasko einen Champions-League-Stammgast, der sich 2004 die europäische Krone aufsetzen durfte.

2015 wurden Sloweniens Volleyballmänner Vizeuropameister. Ein tolles und unerwartetes Ergebnis, wenngleich die folgenden Jahre weniger erfolgreich verliefen.

Eishockeyspieler Anze Kopitar gewann 2012 und 2014 den Stanley Cup mit den Los Angeles Kings. Bereits fünf Mal wurde Kopitar zum NHL All Star Game eingeladen, bei dem sich alljährlich die weltbesten Kufen-Karrieristen treffen. Noch bemerkenswerter ist Kopitars Werdegang, wenn man sich vor Augen führt, dass insgesamt nur rund 1100 Menschen in Slowenien Eishockey spielen. Die Nationalmannschaft der Herren waren 2014 und 2018 sogar bei den Olympischen Winterspielen dabei.

Die slowenische Fußballnationalmannschaft qualifizierte sich für die WM-Endrunden 2002 und 2010, schied aber jeweils in der Gruppenphase aus. Damals noch nicht mit von der Partie: Jan Oblak, der 27-Jährige von Atletico Madrid ist laut Transfermarkt.de der wertvollste Torhüter der Welt. Schiedsrichter Damir Skomina wurde 2019 von der International Federation of Football History & Statistics (IFFHS) zum Weltschiedsrichter gekürt.

Aber auch außerhalb von Turnhallen und Rasenplätzen fühlen sich die Slowenen wohl. Sie sind enthusiastische Wanderer, Kletterer und Alpinisten. Die Julischen Alpen mit dem Ski-Alpin-Standort Kranjska Gora, die Steiner Alpen und das Pohorje-Gebirge sind von zahlreichen Wander- und Radwegen durchzogen, in der kalten Jahreszeit bieten sich den Wintersportlern beste Bedingungen.

In Maribor macht der Ski-Alpin-Zirkus der Damen traditionell Halt, während die Herren Kranjska Gora einen Besuch abstatten. Nicht weit davon liegt Planica, wo mehrere Schanzen für Skispringen und Skifliegen gebaut wurden. Der Japaner Ryoyu Kobayashi hält den Schanzenrekord, als er am 24. März 2019 auf eine Weite von 252 Metern kam.

Mit Lokalmatador Peter Prevc braucht sich Slowenien im Skispringen aber keinesfalls zu verstecken. Er gewann 2016 sowohl die Vierschanzentournee als auch den Gesamtweltcup und insgesamt fünf Medaillen bei Nordischen Skiweltmeisterschaften und Olympischen Winterspielen. Sein Bruder Domen Prevc feierte immerhin schon fünf Weltcupsiege.

Das Aushängeschild des slowenischen Skisports war aber lange Zeit Tina Maze. Ehe sie 2017 ihre Karriere beendete, schaffte sie ein Kunststück, das nur wenigen Fahrern und Fahrerinnen vergönnt ist: Sie gewann Weltcuprennen in allen fünf Disziplinen. In Summe kam sie auf 26 Weltcupsiege und 13 Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. In der Saison 2012/2013 gelang Maze mit 2414 Punkten die höchste jemals erzielte Punktzahl im Weltcup. Die Zweitplatzierte Maria Höfl-Riesch sammelte 1313 Punkte weniger, was gleichbedeutend war mit dem größten jemaligen Rückstand in der Endabrechnung.

Slowenien hat in Ilka Stuhec auch ein aktuelles Ski-Ass zu bieten. Die Abfahrtsweltmeisterin von 2017 und 2019 zählt auch im Super-G zu den Spezialisten.

Tina Trestenjak gewann bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 Gold im Judo. Janja Garnbret ist eine der besten Sportkletterinnen der Welt und mit 21 Jahren bereits sechsmalige Weltmeisterin. 2018 und 2019 wurde sie zu Sloweniens Sportlerin des Jahres gewählt.

Peter Kauzer wurde im Kanuslalom Weltmeister 2009 und 2011 und Zweiter bei Olympia 2016.

Mehr als die Hälfte der Staatsfläche Sloweniens ist von Wald bedeckt. Im Südwesten bietet die fast 50 Kilometer lange Adria-Küste eine weitere Facette des Landes. Slowenien ist klein, aber hat eine ausgesprochen vielfältige Landschaft. Die Städte sind klein, sodass Sportbegeisterte schnell einen Abstecher in die Natur machen können. Laut der Website slovenia.si betreiben 61 Prozent der Slowenen über 16 Jahre Sport oder betätigen sich körperlich in ihrer Freizeit.

Ein Grund für die Fülle an Hochleistungssportlern ist aus der Not geboren: Viel eher erhalten Athleten zweite, dritte und vierte Chancen als in größeren Ländern. Sloweniens Sportpsychologe Matej Tusak, der mit Primoz Roglic zusammenarbeitete, sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass die Trainer motivierter seien vor dem Hintergrund des geringeren Talentpools das Maximum bei den Talenten herauszuholen. Tusak sagte zudem: „Slowenen haben den Ehrgeiz großartig zu sein.“ Ein weiterer Grund des Erfolgs liege laut Tusak in der starken staatlichen Sportfinanzierung, die eine Hinterlassenschaft aus der kommunistischen Vergangenheit sei. Bis 1991 war Slowenien ein Teil Jugoslawiens.

Dem nationalen olympischen Komittee zufolge liegt Slowenien auf Platz 15, zieht man die Anzahl an olympischen Medaillen pro Einwohner als Maßstab heran. Mit Roglic, Doncic und Co. könnte Slowenien in Zukunft noch einige Plätze gutmachen.

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