Sonstiger Sport

Peking 2022: Der olympische Flaschengeist

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Die Olympischen Winterspiele in Peking waren eine merkwürdig leblose Veranstaltung. Sportbegeisterung flammte bei den Einheimischen zu keinem Zeitpunkt auf. Wenngleich die Athleten schöne Geschichten schrieben, plätscherte der Sport vor sich hin.

Die Olympischen Winterspiele boten die komplette Palette an Sportgeschichten: Triumphe, Überraschungen, Favoritenstürze, Dramen, Abschiede.

  • Das Langlauf-Gold der beiden Deutschen Katharina Hennig und Victoria Carl im Teamsprint (inklusive des Kommentars von ARD-Berichterstatter Jens-Jörg Rieck: „Ja, hast du denn die Pfanne heiß?“, der den Weg in sämtliche Jahresrückblicke finden wird) kam unverhofft und wurde daher umso ausgiebiger zelebriert.
  • Die deutsche Athletin Daniela Maier landete im Skicross-Finale zunächst auf einem undankbaren vierten Platz und gewann nach einer Jury-Entscheidung doch noch die Bronzemedaille. Mithilfe des Videobeweises wurde festgestellt, dass die ursprüngliche Dritte Fanny Smith die Deutsche kurz vor der Zieleinfahrt behindert hatte.
  • Der Fall von Kamila Waljewa ging um die Welt. Die vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) beauftragte Internationale Testagentur (ITA) gab während der Spiele bekannt, dass die Eiskunstläuferin im Dezember 2021 auf das verbotene Herzmittel Trimetadizin getestet worden war. Einen Tag zuvor hatte die erst 15-Jährige im Team-Wettbewerb mit dem Russischen Olympischen Komitte (ROC) Gold geholt. Ob das Team die Medaillen behalten darf, wird sich nach den olympischen Spielen entscheiden. Im Einzelwettbewerb durfte Waljewa ein paar Tage später trotzdem starten – eine umstrittene Entscheidung. Dem immensen Druck konnte die Jugendliche allerdings nicht standhalten. Die russische Favoritin stürzte mehrmals und wurde Vierte. Als Konsequenz aus dem Fall Waljewa hat sich eine Diskussion in Gang gesetzt, ob aus Schutz junger Sportler ein Mindestalter bei Olympischen Spielen eingeführt werden sollte.
  • Der Gold-Endspurt des Nordischen Kombinierers Vincenz Geiger versetzte die Zuschauer in Erstaunen. Am letzten Anstieg schoss er wie er ein Blitz an seinem deutschen Landsmann Johannes Rydzek und den anderen Konkurrenten vorbei. Nachher sagte er im ZDF: „Das Material war unglaublich gut, ich habe noch nie einen so guten Ski gehabt.“
  • Snowboarder Sean White hatte bei den Wettkämpfen in Zhangjiakou seinen letzten Auftritt. In seiner Karriere gewann der 35-jährige US-Amerikaner drei olympische Goldmedaillen in der Halfpipe, in Peking musste er sich mit Platz vier begnügen. Im Finale war er sieben Jahre älter als der zweitälteste Teilnehmer. White debütierte im Weltcup im März 2001 im Alter von 14 Jahren.
  • Die Flaute von Mikaela Shiffrin, eine der erfolgreichsten Skifahrerinnen aller Zeiten, war kaum zu erklären. Die US-Amerikanerin zählte in jeder Einzeldisziplin zu den Medaillenanwärtern und musste doch ohne Edelmetall abreisen. Im Internet wurde sie mit Hass und Häme überschüttet. Sie machte die schäbigen Kommentare via Social Media öffentlich und schrieb dazu einen Appell: „Steh‘ auf, weil du es kannst, weil du machst, was du magst. Auch wenn es den Leuten nicht gefällt, die so viel Hass auf dich haben. Steh‘ einfach auf! Es ist nicht immer einfach, aber es ist auch nicht das Ende der Welt, zu scheitern, zweimal zu scheitern, fünfmal zu scheitern, Bei den Olympischen Spielen.“ Weil sie die die Misserfolge mit Fassung trug, war bei Eurosport zu lesen: „Die Gold-Mission der besten Skirennläuferin der Gegenwart scheiterte krachend, doch sie erreichte in der Niederlage Größe, wie sie mancher Sieger nie erlangt.“
  • Eileen Gu war der Shootingstar der Olympischen Spiele. Bei ihrem Olympia-Debüt gewann die 18-jährige Freeski-Athletin drei Medaillen: zweimal Gold und einmal Silber. Gu, deren Mutter Chinesin ist und deren Vater aus den USA stammt, entschied sich, für China an den Start zu gehen.

Trotz dieser Geschichten war die Euphorie für die Olympischen Spiele an einem Tiefpunkt. Die Stimmung war schon in Sotschi 2014 und Pyeongchang 2018 nicht berauschend, in Peking ähnelte sie den Geisterspielen in der Fußballbundesliga.

Aufgrund der Corona-Pandemie waren keine Zuschauer aus dem Ausland zugelassen. Besucht wurden die Sportstätten von Trainern, freiwillige Helfern, ein paar versprenkelten Athleten und ausgewählten Zuschauern.

Atmosphäre wie bei Bundesjugendspielen

Ob die Zuschauer gerade sportliche Höchstleistungen zu Gesicht bekamen oder den Athleten bei ihren Aufwärmprogrammen zusahen, ließ sich atmosphärisch kaum unterscheiden. Es hätten auch Bundesjugendspiele auf höherem Niveau sein können. Die Wettkämpfe plätscherten so dahin.

„Ich muss ehrlich sagen, dass ich null Komma null mitbekommen habe, dass hier Zuschauer waren“, sagte der deutsche Biathlet Roman Rees gegenüber t-online.

Die Stimmung lässt sich keinesfalls vergleichen etwa mit den Winterspielen in Lillehammer 1994 – oder in Vancouver 2010, das Finale im Eishockey zwischen dem Gastgeberland Kanada und den USA brachte damals das vollbesetzte Eisstadion zum Beben. Einer von vielen Gänsehautmomenten, die bei den Spielen in Peking höchstens sportlicher Natur waren.

Wie nachhaltig waren die Olympischen Spiele in Peking?

Die Entscheidung des IOC, die Olympischen Spiele ins wenig wintersportbegeisterte China zu vergeben, war umstritten und vieldiskutiert. Jetzt stehen in Peking, Yanqing und Zhangjiakou Sportstätten, die künftig vielleicht kaum oder gar nicht mehr benutzt werden.

Darüber hinaus mussten nicht nur tausend Jahre alte Terrassenkulturen der Skisprunganlage weichen, sondern auch ganze Dörfer. 1.500 Menschen waren gezwungen, sich anderswo eine neue Bleibe zu suchen.

Nachhaltigkeit ist ein Fremdwort für das IOC. Bei den Olympischen Spielen 2022 wurde fast zu 100 Prozent auf Kunstschnee zurückgegriffen. Insgesamt waren mehr als zwei Milliarden Liter Wasser für die Produktion von Kunstschnee notwendig.

Weil die Wettkampforte, die nur wenige Hundert Kilometer von der Wüste Gobi entfernt liegen, wegen starker Winde, trockener Böden und einer hohen Verdunstung nicht für die künstliche Beschneiung geeignet waren, war der Energieaufwand wesentlich höher als in den Alpen. Das Wasser wurde über kilometerlange Pipelines, die unterirdisch neu verlegt wurden, in die Skigebiete gepumpt.

Es würde dem Sport und der Natur guttun, wenn das IOC den Faktor Nachhaltigkeit in die Bewerbungskriterien aufnehmen würde. Praxistauglich ist dieser Vorschlag mit dem jetzigen IOC um Präsident Thomas Bach jedoch nicht.

Die olympischen Idee ist ein Kulturgut

Der olympische Geist steckt in der Flasche fest. Da wird er bleiben, solange die Spiele an Orte vergeben werden, an denen keine Sporteuphorie aufkommen kann.

Das ist schade, weil die olympischen Ideen, Symbole und Rituale großartig sind. Das Streben nach Höchstleistungen, der Fairnessgedanke, das Ideal der Völkerverständigung, das Zusammenkommen von Sportlern aus aller Welt, das olympische Feuer, die Olympischen Ringe, die Medaillenvergabe, die Eröffnungs- und Schlussfeier, der Aufstieg von Tauben als Symbol des Friedens – alles Errungenschaften, die zu wertvoll sind, um sie als Banalität zu betrachten.

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Zumindest gibt es Hoffnung für die Zukunft: Die nächsten Olympischen Spiele in Paris 2024, Mailand und Cortina d’Ampezzo 2026 und Los Angeles 2028 finden an Orten statt, in denen Sommer- beziehungsweise Wintersportarten eine Tradition haben und an denen viele Sportstätten bereits vorhanden sind.

Peking 2022 hat gezeigt: Begeisterung für Sport lässt sich nicht aufzwingen. Obwohl die Einschaltquoten von ARD und ZDF – wohl angesichts der vielen Medaillen der deutschen Mannschaft und der generellen Wintersportbegeisterung – sogar über denen der Sommerspiele 2021 in Tokio lagen, war Peking 2022 im Großen und Ganzen kein „Must-See-TV“.

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