Die mexikanische Nationalmannschaft besiegt Deutschland mit 1:0. Während die flinken Mexikaner über sich hinauswachsen, agiert der Weltmeister von 2014 planlos, ungeordnet und kann letztlich sogar froh sein, nicht noch höher verloren zu haben.
Der deutschen Fußball-Nationalmannschaft wird häufig zugeschrieben, eine Turniermannschaft zu sein. Also ein Team, das mit Beginn einer Welt- oder Europameisterschaft ihr Leistungsniveau noch einmal anhebt. Beim Titelgewinn 2014 startete die Mannschaft mit einem 4:0 gegen Portugal blendend ins Turnier, 2010 fertigte das Team von Trainer Joachim Löw Australien mit dem identischen Ergebnis ab. Der Ruf der DFB-Elf kommt nicht von ungefähr.
Dass Statistiken nicht für die Ewigkeit sind, mussten die Deutschen beim gestrigen Spiel gegen Mexiko leidvoll erfahren. Die 0:1-Niederlage gegen Mexiko bedeutet die erste Auftaktniederlage bei Weltmeisterschaften seit 36 Jahren. Die müden Auftritte gegen Österreich und Saudi-Arabien waren anders als erwartet kein Wachrüttler, nur wurden die Probleme gegen die Mexikaner noch offensichtlicher. Mats Hummels sah es ähnlich: „Wir haben wie gegen Saudi-Arabien gespielt, nur gegen einen besseren Gegner.“

Schon nach einer Minute zeigte sich Mexiko gefährlich vor dem Tor von Manuel Neuer, erst Jerome Boateng konnte mit einer Grätsche den frühen Rückstand verhindern. Mexiko zeigte von Beginn an, dass sie sich mit ihrer bissigen Art einiges vorgenommen hatten. Deutschlands Spiel war hingegen fahrig. Mats Hummels vertändelte den Ball beim Dribbling, Sami Khedira spielte einem Mexikaner den Ball in den Fuß, als er im eigenen Strafraum Thomas Müller anpassen wollte. Es reihte sich ein stümperhafter Fehler an den anderen, ein ungewohntes Bild von der deutschen Mannschaft in den letzten Jahren.
Anfangs entwickelte sich ein interessantes Spiel mit hohem Tempo und einigen Strafraumszenen, doch mit jedem Schnitzer der Deutschen wurden die Mexikaner stärker und es gelang ihnen, die deutschen Patzer in eigene Konterchancen umzuwandeln. Es war zunächst eine rastlose Partie, bei der Deutschland mit jedem Fehler ratloser wirkte.
Khediras Ballverlust leitet 0:1 ein
In der 35. Minute blieb Khedira mit dem Ball an Hector Herrera hängen, der erfasste die Situation blitzschnell. Prompt schaltete Mexiko in den Angriffs-Modus. Herrera spielte den Ball auf Chicarito, da Hummels seine Verteidiger-Position aufgab, um sofort den Ball zurückzuerobern, bekam Mexiko für den Moment noch mehr Platz zum Gegenschlag. Chicarito leitete den Ball geschickt auf Hirving Lozano weiter, der gegen Aushilfs-Verteidiger Mesut Özil leichtes Spiel hatte und Manuel Neuer überwand, den am Ende einer Fehlerliste keine Schuld traf.
Der viermalige Weltmeister war geschockt. Ein Rückstand in einem WM-Spiel, dazu noch im ersten, gehört nicht zu den Ereignissen, mit denen sie oft konfrontiert waren. Nicht nur das Tor zeigte, wie verwundbar die deutsche Defensive war an diesem Tag in Moskau. Hummels oder Boateng machten ein ums andere Mal den Fehler, sich aus der Viererkette zu lösen, als die schnellen und wendigen Mexikaner auf sie zu stürmten.
Löchrige deutsche Defensive
Doch die Leistung der beiden Innenverteidiger muss man im Kontext betrachten. Meistens waren sie fast machtlos, da Sami Khedira und Toni Kroos das FC Bayern-Duo überhaupt nicht unterstützte. Khedira wirkte behäbig, aber auch Stratege Kroos nahm die Abwehrarbeit lockerer als sonst. Vielleicht weil Carlos Vela ihn mit seiner Manndecker-Rolle entnervte. Sobald Kroos sich ins Angriffsspiel einschaltete, folgte Vela ihm auf Schritt und Tritt, um ihm die Lust am Spiel zu nehmen.
Joshua Kimmich war offensiv bemüht, aber defensiv ließ er wiederholt zu viele Lücken. Es war nicht die Schuld eines Einzelnen, der ganze Abwehrblock – und damit ist auch das offensive Mittelfeld um Thomas Müller gemeint – stand zu keiner Zeit des Spiels kompakt genug. Mats Hummels äußerte nach dem Spiel Kritik an den Kollegen: „In der Rückwärtsbewegung werden Jerome und ich aber oft alleine gelassen.“ In der zweiten Halbzeit rannten einmal drei Mexikaner auf die beiden deutschen Hünen an, doch der Pass kam zu ungenau.
Deutschland durfte mehrmals tief durchatmen. Viele ungenaue Pässe und leichtfertig vergebene Torszenen der Mexikaner waren nicht das Resultat einer massiven deutschen Bastion. Die eigenen Schludrigkeiten der Lateinamerikaner verhinderten eine höhere Führung. In der 57. Minute hätte ein simpler Querpass von Chicarito auf Vela wohl das sichere 2:0 bedeutet, doch Chicarito spielte den Ball zu steil und die Chance verpuffte.
Reus bringt etwas Schwung ins Spiel
Mit der Einwechslung von Marco Reus für Khedira in der 60. Minute begann dann die Drangphase der deutschen Mannschaft. Ein strammer Schuss von Kroos strich nur knapp am Pfosten vorbei, Reus verfehlte mit einer Direktabnahme aus der Luft und in den letzten Minuten klatschte der Versuch von Julian Brandt an den Pfosten. Deutschland drängte mit mehr Vehemenz auf den Ausgleich, gleichzeitig wurden die mexikanischen Konterchancen häufiger, wobei das höhere Risiko in der Schlussphase ohne Alternative war.
Fast alle Angriffe liefen über die rechte Seite, weshalb die Mexikaner es leicht hatten, die Ballstafetten vorauszuahnen. Linksverteidiger Marvin Plattenhardt nahm in der zweiten Hälfte zwar noch physisch am Spiel teil, doch der Ball kam nahezu nie zum Herthaner, der aufgrund des Ausfalls von Jonas Hector sein erst siebtes Länderspiel bestritt.
Mexiko behielt nicht nur auf kämpferischer Ebene die Oberhand, sondern auch auf taktischer. Nach dem Spiel erklärte Juan Carlos Osorio, der Trainer kolumbianischer Herkunft, dass sein Team die Taktik schon vor sechs Monaten ausgetüftelt hatte. Das glaubte man ihm aufs Wort. Die Partie erinnerte ein wenig an das Champions League Halbfinale von 2014 zwischen dem FC Bayern und Real Madrid, als die Münchner ebenfalls gewaltige Probleme bei Gegenangriffen hatten und nie die Balance zwischen Angriff und Abwehr herstellten.
Zeit zum Nachdenken hat der amtierende Weltmeister genug, erst am Samstagabend trifft Deutschland auf Schweden, auf ein robustes und zweikampfstarkes Bollwerk ohne die offensive Schlagkraft der Mexikaner. Jetzt zählt es für die Mannschaft, sich wieder auf die Tugenden einer Turniermannschaft zu besinnen. Das Mexiko-Spiel muss ein Weckruf sein, sonst könnte Deutschland ein böses Schicksal ereilen wie Italien 2010 und Spanien 2014, die jeweils vier Jahre nach ihrem Triumph in der Gruppenphase scheiterten.
Aufstellung Deutschland: Neuer – Kimmich, Boateng, Hummels, Plattenhardt (79. Gomez) – Khedira (60. Reus), Kroos – Müller, Özil, Draxler – Werner (86. Brandt)
Aufstellung Mexiko: Ochoa – Salcedo, Ayala, Moreno, Gallardo – Herrera, Guardado (74. Marquez) – Layun, Vela (58. Alvarez), Lozano (66. Jimenez) – Chicharito
0:1 Lozano (35.)
Zuschauer: 78011 (ausverkauft)