Basketball Sport

NBA: Dirk Nowitzkis letzter Fadeaway – Der Typ von nebenan im Kreis der Überathleten

Von Keith Allison - https://www.flickr.com/photos/keithallison/3996815319/, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8040336

Dirk Werner Nowitzki wird als einer der besten Basketballer der Welt und bedeutendsten deutschen Sportler in die Geschichte eingehen. Über seine gesamte Karriere ist er den Dallas Mavericks treu gewesen. Und dabei immer menschlich geblieben. 

Bei einer Preisverleihung im Sommer 2013 traf der inzwischen verstorbene Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt auf den NBA-Star Dirk Nowitzki. Schmidt machte sich offenbar Sorgen, dass man beim Basketball nicht genug verdient. „Wahrscheinlich müssen sie anfangen – wenn sie das nicht schon getan haben – nebenher noch zu studieren“, lautete der Rat, den der damals 95-Jährige dem großen Blonden gab.

Schmidt war sich offenbar nicht bewusst, dass da einer der besten Basketballer aller Zeiten neben ihm saß. Einer, der fast allen Bundesbürgern bekannt ist, deren Wissen sich aber meist nur aus der TV-Werbung oder Zeitung schöpft.

Nowitzki, der während seiner 21 Jahre in der NBA rund 223 Millionen Euro verdient hat, wollte den Altkanzler nicht enttäuschen und nutzte eine kleine Notlüge. „Ja, studieren, ein bisschen BWL vielleicht“, sagte er und lächelte nett. Studieren wird er in diesem Leben wohl nicht mehr.

Diese Anekdote sagt einiges über Nowitzkis Charakter aus. Stets bodenständig gab er sich in Interviews. Er wirkte immer wie der Typ von nebenan, der sich mit vielen extrovertierten Überathleten misst. Noch heute gibt Mutter Helga Nowitzki ihrem hoch dekorierten Sohn Taschengeld, wenn dieser in der Würzburger Heimat vorbeischaut.

Dirk Nowitzki als Exot in der Glamourwelt

Im Rampenlicht stehen oder öffentliche Reden halten, war nie sein Ding. Manchmal wirkte es so, als sei es ihm fast peinlich im Mittelpunkt zu stehen. Nowitzki besucht jedes Jahr ein Kinderkrankenhaus in Dallas mit einem Sack voller Geschenke, ohne vorab der Presse Bescheid zu geben.

21 Jahre hat er bei ein und demselben Team verbracht. Kein anderer Spieler hat die Dallas Mavericks mehr geprägt als er. Mit 31.560 erzielten NBA-Punkten liegt er auf Platz sechs der ewigen Bestenliste. Vor wenigen Wochen hat er Wilt Chamberlain überholt, dem einmal 100 Punkte in einem Spiel gelangen. Danach sagte Dirk: „Dass man in einer Liste mit solchen Namen steht, ist surreal.“ Nur Kareem Abdul-Jabbar (38.387), Karl Malone (36. 928), Kobe Bryant (33.643), LeBron James (32.543) und Michael Jordan (32.292) haben in ihrer Karriere mehr gepunktet als Nowitzki.

In seinem drittletzten Spiel gegen die Memphis Grizzlies knackte er die Marke von 10.000 Defensivrebounds. Nur Robert Parish (1611) und Abdul-Jabbar (1560) haben mehr NBA-Partien absolviert als der 2,13 Meter Power Forward (1521). Deutsche und US-Amerikaner sind sich einig: Dirk hat eine Ära geprägt.

Vor allem die Stadt Dallas blickt stolz auf ihren Dirk. Der General Manager der Mavericks Donnie Nelson sagt: „Dirk hat Dallas verändert, ökonomisch und kulturell. Die Mentalität. Er verdient ein Denkmal, ganz einfach.“

Zunächst drei Sportarten

Seine sportliche Begabung und sein Bewegungstalent wird Nowitzki bereits in die Wiege gelegt. Mutter Helga war Basketball-Nationalspielerin, Vater Jörg Handballspieler. In der Jugend treibt Dirk noch drei Sportarten gleichzeitig: Tennis, Handball und Basketball. Als seine schulischen Leistungen nachlassen, verzichtet er erst auf Handball und später auf Tennis.

Im Alter von 16 Jahren trifft Dirk zum ersten Mal Holger Geschwindner. Damals ahnt man noch nicht, dass sich aus der ersten Begegnung ein Bund fürs Leben entwickelt. Geschwindner erkennt Potential im langen Schlaks von der DJK Würzburg. Er sieht, wie geschmeidig Dirk mit dem Ball dribbeln und aus der Distanz werfen kann. Nowitzki ist ein Rohdiamant, der nur geschliffen werden muss.

Geschwindner, in den 1970er Jahren selbst Kapitän der Nationalmannschaft, beginnt mit Dirk zu arbeiten. Manche seiner Methoden – Froschsprünge, Würfe auf einem Bein – werden voreilig als „Unfug“ abgestempelt. Noch heute prangt an Geschwindners Büro der Schriftzug „Institut für angewandten Unfug“.

Geschwindner hat sich den Ruf des verrückten Professors erarbeitet. Sein Kleidungsstil erinnert an die 1970er Jahre, er ist studierter Mathematiker, Physiker und Philosoph. Außerdem hat er ein Computerprogramm entwickelt, mit dem sich der ideale Winkel eines Korbwurfs errechnen lässt.

Geschwindner trainiert Nowitzki nicht nur im Körbewerfen, sondern geht mit ihm Rudern, Fechten oder zeigt ihm hochwertige Literatur. Im Nachhinein muss man zu dem Fazit kommen: Die bisweilen kritisch beäugte Partnerschaft hätte nicht besser verlaufen können.

Aus Würzburg davongestohlen

Sprung in den März 1998: Nowitzki kämpft mit den Würzburg X-Rays um den Aufstieg in die Bundesliga. Da Ende des Monats das Nike Hoop Summit ansteht (das Aufeinandertreffen der weltweit größten Talente), gerät Nowitzki in einen Terminkonflikt.

Eigentlich möchte er seinen Würzburgern bei einem wichtigen Playoffspiel helfen, andererseits zeichnet sich ab, dass er den Sprung in die NBA schaffen wird. Die Teilnahme am Hoop Summit würde seine Chancen im NBA-Draft an früher Stelle ausgewählt zu werden wahrscheinlich erhöhen. Ohne seinen Eltern oder Teamkollegen etwas zu verraten, fliegt Nowitzki gemeinsam mit Geschwindner zum Hoop Summit nach San Antonio.

Mit 33 Punkten und 14 Rebounds ist Nowitzki der beste Spieler des Abends. Während die Würzburger Mitspieler erzürnt sind, überzeugt Nowitzki ein weltweit bekanntes Team restlos: die Dallas Mavericks.

Der damalige Trainer Don Nelson kommt sogar auf die Idee, Nowitzkis Talent den anderen Teams vorzuenthalten: „Nach ein paar Trainingseinheiten beschlossen wir, ihn so gut wie möglich zu verstecken. Wir beschlossen, ihn zu draften, mit egal welchem Pick. Aber wir haben es nicht geschafft, ihn davon zu überzeugen, nicht (beim Hoop Summit, Anmerkung) zu spielen.“

In Würzburg ist der Ärger bald verflogen. Gemeinsam mit dem zurückgekehrten Nowitzki schafft Würzburg den Aufstieg. Obwohl er bereits im Juni 1998 an neunter Stelle von den Mavericks gedraftet wird, kann Nowitzki wegen des NBA-Lockouts (Tarifstreit zwischen der Spielergewerkschaft und der Liga) sogar noch die ersten 16 Spiele in der darauffolgenden Erstligasaison bestreiten. 

Heilsbringer gesucht

Dallas indes lechzt nach einem Hoffnungsträger. Von 1991 bis 1998 gewinnt die Franchise maximal 36 Spiele pro Saison. In der Saison vor Nowitzkis Ankunft sind es 20 Siege bei 62 Niederlagen. Die Mavericks sind ein Kellerkind, eine Lachnummer.

Die Erwartungen ruhen fortan auf Spielmacher Steve Nash und besonders auf Dirk Nowitzki. Dieser wird in seiner Debütsaison allerdings überhaupt nicht warm mit dem US-Basketball. Bei seinem ersten Spiel gegen die Seattle Super Sonics gelingt Dirk kein einziger Korb. Durchschnittlich acht Punkte stehen am Ende der Saison für ihn zu Buche, von der Dreierlinie trifft er magere 20 Prozent.

Um sich in der NBA zu akklimatisieren, ist allerdings gerade dieses verflixte erste Jahr wichtig. Schon im zweiten Jahr steigert er sich auf 17,5 Punkte bei deutlich verbesserten Wurfquoten. In seinem dritten Jahr ziehen die Mavericks das erste Mal seit elf Jahren wieder in die Playoffs ein. Eine ganze Stadt atmet auf. In den Folgejahren werden Playoff-Teilnahmen die Regel.

Am 2. Dezember 2004 erzielt Nowitzki gegen die Houston Rockets seine bis heute bestehende Karrierebestleistung von 53 Punkten. Dirk ist spätestens jetzt das Aushängeschild der Stadt Dallas.

Von Keith Allison - https://www.flickr.com/photos/keithallison/3996815319/, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8040336
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Nowitzki in der deutschen Nationalmannschaft

Auch in der Nationalmannschaft läuft es glänzend. Nach anstrengenden NBA-Saisons, die oft erst im Mai zu Ende gehen, hält er trotzdem für sein Land die Knochen hin. Bei der Weltmeisterschaft 2002 gewinnt Deutschland Bronze. Nowitzki wird zum besten Spieler des Turniers ausgezeichnet – genau wie bei der Europameisterschaft 2005, als die DBB-Auswahl erst im Finale an Griechenland scheitert.

Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2008 in Peking trägt er die deutsche Fahne. Olympia bezeichnet Dirk trotz des ausbleibenden sportlichen Erfolgs als eine der schönsten Erfahrungen seiner Karriere. Erst 2015 beendet er nach 153 Länderspielen seine Laufbahn in der Nationalmannschaft, sein letztes Spiel steigt bei der Europameisterschaft in Berlin.

Durchbruch und Enttäuschung 2006

Zurück zu den Dallas Mavericks: Gegen die San Antonio Spurs um Trainerlegende Gregg Popovich oder die Sacramento Kings beißen sich die Mavericks in den Playoffs häufig die Zähne aus.

In der Saison 2005/2006 stellen die Texaner eines der besten Teams der Liga. In der zweiten Playoff-Runde liefern sie sich gegen San Antonio eine umkämpfte Serie über sieben Spiele, an deren Ende Dallas mit 4:3 die Oberhand behält. In den Conference Finals besiegt man mit 4:2 die Phoenix Suns, bei denen der inzwischen aus Dallas abgewanderte Steve Nash spielt.

2006 spielt Nowitzki seine erste Finalserie gegen die Miami Heat. Schnell spricht vieles für Dallas: Der Heimvorteil in einem möglichen siebten Spiel und die Tatsache, dass Dallas die ersten beiden Spiele für sich entscheidet.

Spiel drei findet in Florida statt. 3,4 Sekunden vor Spielende hätte Nowitzki an der Freiwurflinie die Verlängerung herbeiführen können, allerdings bringt der Deutsche nur einen seiner beiden Versuche im Korb unter. Miami bringt die Partie haarscharf unter Dach und Fach. Ab diesem Zeitpunkt kippt die Serie, Miamis Dwayne Wade übernimmt derweil den Taktstock.

Spiel fünf verlieren die Mavericks in der Verlängerung mit 100:101. Nach dem Spiel kickt ein frustrierter Nowitzki einen Ball in die Zuschauerränge und muss daraufhin 5000 Dollar Strafe zahlen.

Im sechsten Spiel hat Miami mit 95:92 wieder das bessere Ende für sich, gewinnt auch das vierte Duell in Folge und damit den Meistertitel. Der Ehrgeizling Nowitzki ist angefressen, enttäuscht, geknickt. Auch er hat nicht seinen besten Basketball gezeigt.

Nowitzkis MVP-Saison 2007 und ein harter Aufprall

Die schmerzliche Niederlage treibt ihn allerdings an, noch mehr zu investieren und im Sommer gemeinsam mit Geschwindner in der Schulturnhalle im oberfränkischen Rattelsdorf ans Limit zu gehen.

„Die Leute denken immer von Dirk als Schützen, aber seine Arbeitseinstellung war irre. Ich war zwei Stunden vor dem Training bereits in der Halle und dachte, ich schlage ihn. Aber er war bereits da mit seinem deutschen Wurf-Guru und hat die wildesten Szenarien trainiert, die man sich nur vorstellen kann“, schreibt Ex-Kollege Kris Humphries in der Players Tribune.

Die Arbeit wird belohnt. Dirk spielt eine fantastische Saison (24,6 Punkte; 8,9 Rebounds; 50,2% Feldwurfquote; 41,6% Dreierquote) und wird 2007 zum wertvollsten Spieler der Liga (MVP) gekürt – als erster Europäer.

Dallas schwingt sich zum besten Team der Liga auf, gewinnt 67 Spiele in der regulären Saison und ist in der ersten Playoff-Runde deutlicher Favorit gegen die Golden State Warriors, die sich als Achter nur mit Mühe für die Playoffs qualifizieren.

Die meisten Experten rechnen mit einem zeitnahen 4:0. So kann man sich täuschen. Golden State, damals noch ohne Stephen Curry und den Rest der jetzigen Regenten, ist perfekt eingestellt auf die vermeintliche Übermacht aus Dallas. Mit harter Verteidigung und Insider-Expertise von Trainer Don Nelson, der bis 2005 die Mavericks trainiert und im Jahr darauf in der Bay Area anheuert, gelingt den Warriors die Überraschung.

Im entscheidenden Spiel sechs verwandelt Nowitzki nur zwei von 13 Wurfversuchen aus dem Feld, Dallas geht mit 25 Zählern unter. In den Gazetten ist die Rede von „No-Win-Ski“, eine Anspielung auf Dirks ausbleibenden Erfolg in entscheidenden Momenten.

Dennoch hat sich Nowitzki in der Oracle Arena verewigt. Nach dem Knockout schlägt er ein Loch in die Wand, auch wenn er heute nicht mehr weiß, ob er damals einen Stuhl oder einen Mülleimer zur Hand genommen hat. Anstatt die Wand zu reparieren, platzieren die Warriors einige Jahre später eine Plexiglasscheibe über das Loch und lassen diese von Nowitzki signieren. Im September 2019 wird die Franchise in eine neue Halle ziehen. Der Teil der Wand mit dem Loch soll herausgeschnitten und mitgenommen werden.

Nowitzkis Treuebekenntnis

Nach der Enttäuschung reist Nowitzki gemeinsam mit Geschwindner fünf Wochen lang im Sommer durch Australien und Neuseeland. „Der alte Mann und ich – das war ein bisschen komisch“, erinnert er sich später. „Ich wollte nur so weit wegkommen wie möglich. Ich war stolz auf die Saison – und beschämt wegen der Playoffs.“

2010 wird Dirk Free Agent. Er könnte einen Maximalvertrag unterschreiben oder sich einem legitimen Titelanwärter anschließen. Kobe Bryant kontaktiert ihn und legt ihm einen Wechsel zu den Los Angeles Lakers nahe, die wenige Wochen zuvor Meister geworden sind.

Aber Nowitzki bleibt in Dalls – und verzichtet auf mehrere Millionen. Er ermöglicht seinem Team, Gehalt einzusparen und finanziellen Spielraum zu schaffen. Dallas ist so in der Lage, neue Spieler zu verpflichten, wie zum Beispiel Tyson Chandler.

Für Trainer Rick Carlisle, der elf Jahre lang Dirks Trainer bei den Mavericks war, keine Selbstverständlichkeit: „Einige der anderen Dinge, die er getan hat – mit seinem Vertrag und dem Verzicht auf Geld, um das Team wettbewerbsfähig zu halten – sind beispiellos für großartige Spieler. So etwas sieht man nicht häufig. Er ist einfach einzigartig.“

The Last Dance 2011?

Die Saison 2010/2011 schließen die Mavericks im Westen auf dem dritten Rang ab. Die Chance auf den Meistertitel ist da, nur die Medien glauben überhaupt nicht an den Triumph. Nowitzki ist inzwischen 32 Jahre alt und mit Abstand der beste Spieler des Teams. Der Rest der Mannschaft – Veteranen wie Jason Kidd, Jason Terry und Chandler – ist gut, aber gut genug?

Im Jahr zuvor sind die Mavericks in der ersten Playoff-Runde wieder einmal an San Antonio gescheitert, entsprechend gering sind die Erwartungen der Dallas-Fans.

Nach dem 4:2-Sieg über die Portland Trail Blazers ist dann jedoch eine gewisse Aufbruchstimmung spürbar. Der nächste Gegner ist der amtierende Meister, die Los Angeles Lakers. Was jetzt folgt, ist ein Lehrstück des Teambasketballs. Alle zwölf Kaderspieler bilden eine Einheit, stehen zusammen und teilen den Ball uneigennützig. Mit Ausnahme von Nowitzki haben die Mavericks keinen All-Star in ihren Reihen, trotzdem beenden sie die Serie vorzeitig mit 4:0.

Das Team scheint den vielbeschworenen „Flow“ gefunden zu haben. Beinahe alles gelingt, ohne dass die Profis groß darüber nachdenken müssen. Spiel vier steht beispielhaft dafür. Die Mavericks gewinnen mit 122:86 und stellen dabei mit 20 getroffenen Dreiern einen damals gültigen Playoff-Rekord auf.

In den Conference Finals gegen die aufstrebenden Oklahoma City Thunder um Russell Westbrook und Kevin Durant sind die Mavericks leichter Favorit. Diesem Status werden sie allemal gerecht. In Spiel eins legt „Dirkules“ mit 48 Punkten ein Feuerwerk hin. Noch absurder ist sein Nervenkostüm an der Freiwurflinie. 24 Mal steht er dort, 24 Mal geht der Ball ins Netz. Bis heute Playoff-Rekord. Mit einem letztlich eindeutigen 4:1-Erfolg ziehen die Mavericks nach fünf Jahren Abstinenz wieder ins Finale ein. Gegner: erneut die Miami Heat.

Dallas trifft im Finale wieder auf Miami

Im Sommer 2010 hat LeBron James bei seinem Wechsel von den Cleveland Cavaliers an den South Beach großspurig getönt, er werde mit Miami „nicht zwei, nicht drei, nicht vier, nicht fünf, nicht sechs, nicht sieben“ Meisterschaften gewinnen, sondern noch mehr.

Man kann sich vorstellen, dass die Heat ab dem 31. Mai 2011 enorm unter Druck stehen. Dwayne Wade, der Mavericks-Fans 2006 ins Tränen-Tal gestürzt hatte, ist immer noch da. Zudem vervollständigt der dritte All-Star Chris Bosh das Dreigestirn. Hier „das Superteam“, dort der eingeschworene Haufen mit Trainer Rick Carlisle. Die Rollenverteilung scheint klar verteilt.

Zunächst deutet alles daraufhin, dass Miami seiner Favoritenrolle gerecht wird. Das erste Spiel geht an die Heat (92:84), im zweiten Spiel führen sie sieben Minuten vor Ende bereits mit 15 Punkten. Aber die Mavericks beweisen Kampfgeist, der Rückstand schmilzt mit jeder Minute. Trotz eines Sehnenanrisses im linken Mittelfinger ist es Dirk, der das Team auf seine Schultern packt. Er erzielt die neun letzten Punkte der Partie. Dallas gewinnt mit 95:93 und lebt wieder.

Das dritte Spiel schnappt sich Miami (88:86). Im vierten Spiel hat Dirk 38,5 Grad Fieber. Mit zehn Punkten im letzten Viertel führt er sein Team dennoch zum Sieg (86:83). „Er schwitzte aus allen Poren. Wir dachten nicht, dass er sich umziehen würde“, sagt Jason Terry Jahre später. Spiel fünf entscheiden die Mavericks im heimischen American Airlines Center erst in den Schlussminuten für sich, auch wenn das Ergebnis von 112:103 deutlicher wirkt.

Für beide Teams steht viel auf dem Spiel

Spiel sechs in Miami könnte die Entscheidung zugunsten der Mavericks bringen. Ausgerechnet in dieser Partie findet Nowitzki keinen Rhythmus und hat zur Pause nur drei Punkte auf dem Konto. Dank eines glänzend aufgelegten Jason Terry und einer geschlossenen Teamleistung bleibt Dallas trotzdem die ganze Partie über in Schlagdistanz.

Die Atmosphäre ist aufgeheizt, es kommt zu Spielertumulten. Für Miami und speziell LeBron James steht viel auf dem Spiel, etwa das Versprechen, die NBA zu dominieren und die Konkurrenz spielend in den Schatten zu stellen. Dallas dagegen will den ersten Titel der Vereinsgeschichte einfahren. Und Dirk hat genug davon, „No-Win-Ski“-Schlagzeilen lesen zu müssen.

Der Höhepunkt seiner Karriere

Neun Minuten vor Schluss geht Dallas mit zehn Punkten in Führung. Auch der 1,83 Meter kleine J.J. Barea aus Puerto Rico läuft jetzt zur ungeahnten Höchstform auf. Miami stemmt sich gegen die Niederlage, schafft die Trendwende aber nicht mehr.

Dallas gewinnt 105:95. Als die Sirene ertönt, stürmt Dirk in Richtung Kabine. Im Gang hält er die Arme verschränkt über dem Kopf, schaut ungläubig. Noch immer jubelt er nicht. Sprachosigkeit. Erstaunen. Erleichterung. Fünf Jahre nach seiner bittersten Niederlage gelingt ihm gegen Miami der größte Erfolg seiner Karriere.

Später bei der Übergabe der Trophäe weicht die Verwunderung einem Lächeln. Gelöst nimmt Dirk zwei Pokale entgegen: den goldenen Meisterpokal und die etwas kleinere Trophäe für den wertvollsten Spieler der Finalserie.

Bei der Parade in Dallas sind 250.000 Menschen auf der Straße, Dirk versucht sich als Sänger. Beim Empfang im Weißen Haus scherzt der damalige Präsident Barack Obama: „Seine Darbietung von ‚We are the Champions‘ war das Schrägste, was ich je gehört habe.“

In den Folgejahren kommen die Mavericks nicht mehr über die erste Playoff-Runde hinaus. Dem alternden Dirk fehlt die Unterstützung, er kann die Mannschaft nicht mehr alleine tragen. Allerdings spürt man regelrecht seine Erleichterung, wo immer er auch hinkommt. Alles was jetzt noch kommt, ist Zugabe. Den Titel kann ihm keiner mehr nehmen.

Der Titel fühlt sich noch wertvoller an, wenn man bedenkt, dass Dirk immer bei den Mavericks geblieben ist, obwohl die Aussicht auf Edelmetall woanders größer war.

Inzwischen läuft es auch familiär für ihn rund. Seit 2012 ist er mit der Schwedin Jessica Olsson verheiratet. Beide haben drei Kinder im Alter von fünf, vier und zwei. 2009 entpuppt sich seine damalige Verlobte kurz vor der geplanten Hochzeit als Betrügerin. Privat wird Nowitzki in dieser Phase auf die Probe gestellt, schnell richtet er den Fokus allerdings wieder auf den Sport. Nur zwei Jahre nachdem der Betrug auffliegt, gelingt ihm mit dem NBA-Titel wie beschrieben sein größter Erfolg.

Im Spätherbst seiner Laufbahn

Mit fortschreitendem Alter mehren sich natürlich die Verletzungen. Wegen einer langwierigen Entzündung in Folge einer Knöchel-Operation im Sommer 2018 setzt Dirk viele Monate keinen Fuß auf ein NBA-Parkett.

Wenn seine jüngeren Mitspieler in die Halle kommen, ist er bereits seit Stunden da, um sich zu dehnen, aufzuwärmen und massieren zu lassen. Warum tut er sich das noch an? Weil er es liebt, Teil einer Mannschaft zu sein und nach wie vor den Wettkampf mag. Mit seinem ersten Saisoneinsatz am 14. Dezember 2018 schreibt der Würzburger Geschichte: Kein NBA-Spieler zuvor hat jemals 21 Jahre bei einem Team verbracht.

Auch wenn der 40-Jährige athletisch nicht mehr mithalten kann und in der Verteidigung eine Schwachstelle ist, kann er den Mavericks dank seines Wurfs vereinzelt immer noch helfen. Gegen den Meister aus Golden State gelingen ihm immerhin 21 Punkte. Im Februar wird er zum 14. Mal zum All-Star-Game eingeladen – eine Art Abschiedsgeschenk, auch wenn Nowitzki noch nicht sein Karriereende angekündigt hat. In vier Minuten Spielzeit trifft er drei Dreier.

Er spielt nicht mehr für Geld – in seinem letzten Jahr verdient er knapp 4,5 Millionen Euro –, sondern wegen seiner Leidenschaft für den Sport. Das schätzen die Zuschauer. Nicht nur in Dallas, sogar bei Gastspielen der Mavericks fordert das Publikum Dirks Einwechslung und bejubelt seine Punkte gegen ihr Team.

„We want Dirk“ schallt es in Boston, Portland oder Charlotte. In Los Angeles nimmt der gegnerische Trainer Doc Rivers kurz vor Spielende eine Auszeit, obwohl die Partie entschieden ist. Dann schnappt sich Rivers das Mikrophon des Hallensprechers und fordert die Zuschauer auf, für „einen der Größten aller Zeiten“ aufzustehen und zu applaudieren.

Nowitzkis Abschiedsspiele

Den April 2019 erklärt der Verwaltungsbezirk der Stadt Dallas offiziell zum „Month of Dirk“. Keiner weiß, ob Dirk noch ein Jahr dranhängt oder aufhört. Selbst kündigt er an, im Urlaub eine Entscheidung über seine Zukunft zu fällen. Trotzdem treffen die Mavericks zum letzten Heimspiel am 10. April gegen die Phoenix Suns Vorkehrungen für eine große Fete. Der Abend soll ganz allein ihm gehören.

Auf dem Spielfeld gibt der lange Blonde nochmal eine Kostprobe, welch großartiger Spieler er war. Ihm glücken 30 Punkte, womit er zum ältesten Profi avanciert, der in einem Spiel so erfolgreich gepunktet hat. Der „Dunking Deutschman“ bringt es sogar fertig, ein letztes Mal den Ball durch den Ring zu stopfen. Die Lautstärke in der Halle ist unbeschreiblich. „One more year“-Aufforderungen, also die Bitten an Dirk, in der kommenden Saison weiterzumachen, wechseln sich mit „MVP“-Rufen ab.

Als das Spiel vorbei ist, bleiben alle Zuschauer in der Halle. Die Mavericks um Besitzer Mark Cuban haben sich nicht lumpen lassen und Dirks Vorbilder aus den 1990er Jahren zusammengetrommelt: Charles Barkley, Larry Bird, Scottie Pippen, Shawn Kemp und Detlef Schrempf.

Barkley sagt: „Ich glaube, dass es noch nie einen bodenständigeren Star als Dirk Nowitzki gab. Es war eine Ehre und ein Privileg, ihm zuzuschauen.“ Dann richtete Cuban seine Worte an Dirk: „Ich verspreche: Wir werden Dir die größte, krasseste Statue der Welt bauen und sie vor die Arena stellen.“

Später ergreift Dirk das Mikrophon. Entgegen seiner Ankündigung, im Urlaub eine Entscheidung zu fällen, sagt er: „Wie ihr euch vielleicht schon gedacht habt: Das ist mein letztes Heimspiel.“ Nach einer kurzen Pause witzelt er: „Ich probiere gerade meine Yoga-Atmung aus, aber es funktioniert nicht so richtig.“

Tags darauf spielen die Mavericks bei den San Antonio Spurs. Eindrucksvoll: Vor dem Spiel ehrt der ewige Rivale von Dallas den Spieler mit der Nummer 41 mit einem Video. Dirk kann seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Viele Persönlichkeiten aus dem Sport und selbst die ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, George Bush und Bill Clinton gratulieren ihm zu seiner Karriere.

Dirks Vermächtnis

Dirk hat nicht nur Meilensteine und Rekorde hinterlassen, sondern auch Veränderungen in der NBA in Gang gesetzt. In den 1990er Jahren agierte der Großteil der „Big Men“ mit dem Rücken zum Korb. Dirk kam als Ausnahmeerscheinung in die Liga, warf aus der Distanz, hatte ein exzellentes Ballgefühl und konnte Angriffe initiieren. Der junge Dirk tat Dinge, die andere Spieler seiner Größe nicht taten.

Mittlerweile ist es Standard, dass selbst 2,10 Meter Riesen aus der Ferne werfen. Lange Profis, die den Distanzwurf nicht beherrschen, werden immer mehr zu Ausnahmen und vermutlich bald zu Dinosauriern, zu aussterbenden Exemplaren. „Wegen ihm musste sich jeder verändern, die ganze Liga musste reagieren, weil er anders als jeder andere Spieler verteidigt werden musste“, sagt Spurs-Trainer Gregg Popovich.

Bis zur Jahrtausendwende wurden Europäer im amerikanischen Basketball nicht so wertgeschätzt, wie es jetzt der Fall ist. Dirks Werdegang ist einer der Gründe, weshalb die Liga sich in den letzten Jahren zunehmend international orientiert: Mit dem Slowenen Luka Doncic steht Dirks Nachfolger in Dallas bereits fest. Bei den Milwaukee Bucks ist der Grieche Giannis Antetokounmpo der unumstrittene Superstar. Die Denver Nuggets bauen auf den Serben Nikola Jokic.

Aber auch Nowitzkis Spiel wird fortbestehen. Zumindest eine seiner Spezialbewegungen: der Fadeaway, bei dem er den Ball im Zurückfallen auf den Korb warf. Ein Bein blieb dabei immer auf dem Boden, während er das andere anwinkelte, um den Gegner auf Abstand zu halten. Daher kommt auch der Name „Flamingo Shot“. Dirks Größe und seine feine Fußarbeit machten es für Verteidiger praktisch unmöglich, den Fadeaway zu blocken. Kevin Durant und LeBron James, die zu besten Spielern der Welt zählen, haben den Fadeaway ihrem Fähigkeitenpaket hinzugefügt.

Wie geht es weiter? „NBA-Trainer ist eher nichts für mich. Das bin ich nicht“, sagt Dirk. Als Individualtrainer tätig zu sein, kann er sich vorstellen. Erstmal will er die neuen Freiheiten genießen: „Ich werde viel Zeit mit den Kids verbringen, ein bisschen Tennis spielen und Spaß haben, ein bisschen Wein trinken und die Seele und den Körper mal baumeln lassen.“

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