American Football Sport

NFL: Sean reif für den Titel?

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Die Los Angeles Rams sind nach sechs Spieltagen in der amerikanischen Football Liga (NFL) die einzige Mannschaft ohne Niederlage. Der Höhenflug ist vor allem Trainer Sean McVay zu verdanken. Dabei ist der clevere Chef jünger als mancher seiner Spieler.

Noch vor wenigen Jahren gab es fast ausschließlich ältere und erfahrene Trainer in der NFL, der eine innovativer als der andere, aber der Großteil hatte eine sichere Job-Perspektive. Die Führungsetagen setzten auf Etablierte. Es war fast egal, ob ein bewährter Trainer älteren Semesters gefeuert wurde. Irgendwie kam so jemand doch immer bei einer neuen Mannschaft unter.

Nur vier Siege unter Fisher

Bei den Rams ist mit Sean McVay ein Mann dafür verantwortlich, dass die Liga langsam mit dieser Tradition bricht. Alles fing 2016 an, als der heute 60-jährige Jeff Fisher die Los Angeles Rams trainierte. Trotz Rookie-Quarterback Jared Goff, Runningback Todd Gurley oder Defensiv-Koloss Aaron Donald holte Fisher nur vier Siege aus 16 Spielen. Sein konservativer Spielansatz war nichts für die junge Mannschaft, die auf den Schlüsselpositionen mit Talent gesegnet war. Die Rams stellten die schlechteste und uninspirierendste Offensive der NFL, da sie ihrer eigenen Stärken beraubt wurden.

Ein Jahr zuvor waren die Rams nach Los Angeles zurückgekehrt, nachdem sie rund 20 Jahre in Missouri beheimatet waren und St. Louis Rams hießen. Umzüge sind im amerikanischen Sport keine Seltenheit. Dass Bayern München nach Berlin umzieht scheint utopisch, anders als in Deutschland werden die Mannschaften in den USA allerdings von Teambesitzern geführt, die schon mal die Stadt wechseln, wenn ein Standort nicht mehr wirtschaftlich rentabel ist.

Ab 2020: Football-Palast in Inglewood

Gerade wegen der neuen Heimat Los Angeles war Fishers Misserfolg Gift für die ambitionierten Ziele der Franchise. Spätestens 2020 wollen die Rams in ein neues Stadion in Inglewood eingezogen sein, in das teuerste der Welt für stolze 2,6 Millarden US-Dollar. Los Angeles soll als Football-Stadt wieder attraktiv werden. Doch Fisher garantierte keinen Erfolg mehr, musste weichen und hat bis heute keinen Job. Sein Nachfolger allerdings war eine große Überraschung.

Der jüngste Trainer der NFL-Historie

Am 12. Januar 2017 schrieben die Rams bei der Vorstellung ihres Coachs Geschichte. Kein Cheftrainer in der Historie der NFL war zum Antritt jünger als der damals 30-jährige Sean McVay. Schon beim ersten Pressetermin präsentierte sich McVay rhetorisch versiert und äußerst fachkundig. Nachdem die meisten Assistenztrainer entlassen wurden, stand der ehemalige Offensive Coordinator der Washington Redskins vor der Aufgabe, einen neuen Trainerstab zu bilden. Den wohl größten Coup landete McVay, als er den Football-Guru Wade Phillips als Defensive Coordinator anheuerte.

Der Altersunterschied zwischen Chef und Mitarbeiter scheint wohl nicht nur im American Football einzigartig zu sein. Phillips ist rund 40 Jahre älter als McVay, muss sich dem Jungspund unterordnen, doch die Zusammenarbeit läuft harmonisch und ist von Respekt geprägt.

In seiner erster Saison war McVay vor allem als Motivator gefragt, um die Köpfe nach der ernüchternden Vorsaison wieder aufzurichten. Sein respektvoller Umgang mit den Spielern sowie den anderen Trainern war sicher von Vorteil. Immer wieder loben seine Spieler McVays Führungsstil. Auch Wade Phillips sagte jüngst: „Er pflegt einen großartigen Umgang mit Menschen.“

Grundlegend veränderte Taktik

Der Kader blieb im Vergleich zu 2016 zwar größtenteils der gleiche, aber die spieltaktische Ausrichtung stand auf dem Prüfstand. Sean McVay wusste, dass die Offensive nicht mehr zeitgemäß war und strukturierte sie neu. Es waren Veränderungen, die selbst die mäßig interessierten Fans wahrnahmen.

Der Angriff wurde kreativer, mutiger und überraschender, obwohl Jared Goff der Quarterback blieb. Doch McVay war sich den Schwächen seines talentierten Spielmachers bewusst. Er wählte Spielzüge aus, die Goff das Lesen des Feldes erheblich erleichterten. Unter Fisher verlor Goff alle seiner sieben Spiele als Starter, unter McVay entwickelte sich Goff zu einem Akteur, der zunächst zwar nicht zur alles überragenden Figur der Offensive wurde, aber er machte wenig Fehler und lernte, Spiele zu verwalten.

Gurley, das Herz der Mannschaft

Vor allem aber Todd Gurley machte einen Riesensprung. Der Runningback stagnierte unter Fisher, doch Sean McVay machte Gurley zum Knotenpunkt seiner Offensive, was diesem nach der Saison die Auszeichnung des besten Offensivspielers der NFL einbrachte. Und nicht nur ihm, der gesamten Mannschaft gelang ein fantastischer Umschwung. Los Angeles gewann elf seiner 16 Spiele und kam sogar in die erste Runde der Playoffs. Die nach Punkten schlechteste (!) Offensive wurde zur besten (29,9 Punkte im Schnitt).

McVay wurde zum Trainer des Jahres gewählt. In Anlehnung an den Hollywood-Streifen „La La Land“ tauften die Anhänger das Team „La La Rams“. Allmählich strömten wieder mehr Fans ins altehrwürdige Coliseum. Zuschauer, die Jeff Fisher mit seiner Spielweise aus dem 91.000 Menschen fassenden Stadion vertrieben hatte.

Neues Personal

Zur neuen Saison, die Anfang September begann, kam das Team etwas verändert daher. Während auf der defensiven Seite mit Aqib Talib, Marcus Peters und Ndamukong Suh mehrfache Pro Bowl-Erfahrung verpflichtet werden konnte, gab es offensiv mit Passempfänger Brandin Cooks nur eine maßgebliche Verpflichtung. Aber schon in den ersten Partien wurde deutlich, welch neue Dimension der schnelle Cooks der Offensive um Goff gab. Diese ist gewissermaßen noch stärker geworden (32,3 Punkte im Schnitt).

Das Passempfänger-Trio um Cooper Kupp, Robert Woods und den temporeichen Brandin Cooks gehört zweifellos zu den besten. Vor allem aber hat sich Jared Goff weiterentwickelt. 12 Touchdowns bei 5 Interceptions stehen auf seinem Konto. Zudem kommen knapp 70 Prozent seiner Pässe an. Beim Heimspiel gegen die Minnesota Vikings vor drei Wochen hätte er gut und gerne als bester Spieler der Liga durchgehen können. Gegen die Seattle Seahawks und Denver Broncos präsentierte er sich zuletzt allerdings von seiner schwächeren Seite. An der Konstanz muss Goff noch feilen, doch die Ansätze sind vielversprechend.

Selbsternannter Football-Nerd

Nach dem knappen Erfolg in Denver übte McVay Selbstkritik hinsichtlich seiner Spielzugauswahl: „Das hätte uns das Spiel kosten können. Da muss ich besser werden.“ McVay gilt als Perfektionist. Ständig hält er nach innovativen Spielzügen Ausschau. Immer ist er auf der Suche nach dem kleinen entscheidenden Unterschied. Er selbst beschreibt sich als „Football-Nerd“.

Ein Videoausschnitt aus der Fernsehsendung HBO’s „Real Sports“ belegt McVays eigene Einschätzung. Die Moderatoren wollten McVay auf sein Football-Gedächtnis prüfen. Sie lasen Datum, Spielstand und Spielminute einer bestimmten Partie vor, die McVay als Trainer miterlebt hatte. McVay sollte den passenden Spielzug aufsagen, den er damals ausführen ließ und musste dem Publikum sagen, ob dieser zum Erfolg geführt hatte.

Jedesmal hatte McVay die richtige Antwort parat. Er erinnerte sich sogar an einen Spielzug aus dem Jahr 2015, als er noch in Wahington beschäftigt war und sorgte bei den Medienvertretern für weit aufgerissene Münder. Spieler Cooper Kupp sagte in der Rich Eisen Show, McVays Auftritt im Fernsehen sei nicht überraschend. „Auch Spielzüge von Teams, die er nicht trainiert hat, könnte er exakt wiedergeben“, schilderte Kupp.

Kombinationen von Spielzügen

McVays Gedächtnis hilft dem Team allerdings eher weniger weiter, um Spiele zu gewinnen. Viel wichtiger sind die ausgeklügelten Formationen der Offensive, die der Trainer im Frühjahr 2018 weiter optimiert hat. Bei den meisten Teams weiß der Gegner anhand der Formation grob, welcher Spielzug ihn erwartet. Bei den Rams hat der Kontrahent es unglaublich schwer, vorher und selbst in der ersten Spielsekunde zu erkennen, was Los Angeles vorhat.

Sean McVay kombiniert verschiedene Angriffsmuster (z.b. Screens mit Play-Action, Jet Sweep mit Play-Action) und stiftet so Verwirrung unter den elf Verteidigern. Und wenn ein Spiel aus der Hand zu gleiten scheint wie in Denver, gibt es mit Todd Gurley einen Spieler, für den kein Tempolimit gilt und der den oft zitierten Unterschied ausmachen kann.

Ist der junge Sean reif für den Titel?

Die Rams haben sich in den ersten Saisonphase eindrucksvoll als Kandidat für den Super Bowl beworben. Neben Kansas City stellt Los Angeles wohl die spektakulärste Offensive. Auch die Defensive von Wade Phillips kann an guten Tagen jeden Gegner vor Probleme stellen. Allerdings ist der Titel in der ausgeglichenen NFL nicht planbar. Schon die Verletzung eines Leistungsträger wie Gurley könnte den Traum platzen lassen. Außerdem sollte man sich keine Schwächephase leisten, da eine einzige Niederlage in den Playoffs das Aus bedeutet. Ob Sean schon reif für den Titel ist, wird sich eben dann, im kommenden Januar in den Playoffs zeigen.

 

 

 

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