Die Oakland Raiders wollen die schlechten Vorjahre vergessen machen. Ein Jahr vor dem Umzug nach Las Vegas geht es primär um Fanpflege, den Aufbau einer schlagkräftigen Mannschaft und den Umgang mit schwierigen Persönlichkeiten in der Kabine.
Erfolgsverwöhnt sind die Oakland Raiders seit der Jahrtausendwende wahrlich nicht. Heute 35 Jahre alte Raiders-Fans haben die Super-Bowl-Siege 1976, 1980 und 1983 nicht miterlebt. In den vergangenen 16 Jahren hatte das Team aus Kalifornien nur eine Saison mit positiver Bilanz: 2016, als sie 12 von 16 Partien gewannen. 2017 folgte mit sechs Siegen ein Rückschritt, 2018 unter dem neuen Cheftrainer Jon Gruden standen nur vier Siege zu Buche. Defensiv waren die Raiders in der Kategorie erlaubte Punkte (29,2 pro Spiel) gar das schlechteste NFL-Team.
Gruden geht jetzt in sein zweites Jahr – mit enormer Planungssicherheit. Vor einem Jahr unterschrieb der 55-Jährige einen Zehn-Jahres-Vertrag über stolze 100 Millionen US-Dollar. Mit derartigen Voraussetzungen kann keiner seiner Trainerkollegen mithalten. Zwischen 1998 und 2001 war Gruden bereits Trainer der Raiders, mit denen er damals zweimal in die Playoffs einzog. Die Sehnsucht nach solch erfolgreichen Zeiten ist groß. Aber ist der Kader ausreichend verbessert worden?
Umbruch oder Attacke?
Mit dem Trade ihres besten Defensivspielers Khalil Mack für zwei Erstrunden-Draftpicks wenige Tage vor Start der vergangenen Saison (Anfang September) und dem Trade von Passempfänger Amari Cooper für einen Erstrunden-Draftpick (Mitte Oktober) hatten die Raiders überraschende Schlagzeilen geschrieben, mit Kritik an den Entscheidungen wurde nicht gespart. Ziel der Raiders war es, Draftpicks anzusammeln, um neue Talente zu verpflichten, was den Vorteil hat, dass junge Spieler weniger kosten als Routiniers.
Die Verpflichtung von Antonio Brown, einem der besten und erfahrensten Passempfängern der NFL, im März nach der Spielzeit passte nicht wirklich ins Bild des Umbruchs. Cooper und vor allem Mack hätten der Mannschaft im Fall ihres Verbleibs immens weitergeholfen. Andererseits kam Brown auf den Markt, weil er sich mit seinen Mitspielern bei den Pittsburgh Steelers überworfen hatte.
Der 30-Jährige hat in den letzten sechs Jahren jeweils über 100 Pässe gefangen und 1000 Yards verbucht. Seine Qualität infrage zu stellen, wäre ebenfalls Unsinn. „Ich liebe Jungs wie ihn. Er will es einfach“, sagte sein neuer Trainer Jon Gruden und hob dessen Arbeitseifer hervor: „Er läuft, und läuft, und läuft und hört nicht auf. Antonios Energie ist ansteckend.“
Neben Brown haben die Raiders auch Passempfänger Tyrell Williams von den Los Angeles Chargers verpflichtet, der seine 1,93 Meter auch im vertikalen Passspiel einzusetzen weiß und eine gute Nummer zwei abgeben dürfte. Im diesjährigen Draft hat man mit Josh Jacobs an Position 24 den zum jetzigen Zeitpunkt wohl besten Running Back der 2019er-Klasse akquiriert. Die Offensive steht und fällt allerdings mit Quarterback Derek Carr. Der 28-Jährige besitzt zwar die Rückendeckung der Verantwortlichen, die Frage lautet aber eher wie lange das noch der Fall ist?
Personalie Derek Carr
Seine Leistungen aus den vergangenen beiden Jahren lassen darauf schließen, dass Carrs überzeugende 2016er-Saison eher Ausnahme als Regel war. Jedoch hat sich das Passempfänger-Corps der Raiders im Vergleich zur Vorsaison immens verbessert, wovon auch Carr profitieren könnte. Ob Carr die Langzeitlösung und der kommende Quarterback der Las Vegas Raiders ist, werden die Eindrücke der bevorstehenden Saison zeigen.
Carrs Vertrag läuft noch bis 2022, ist aber so strukturiert, dass die Raiders ihn 2020 entlassen könnten, wobei in diesem Fall die Gehaltsobergrenze des Teams (Salary Cap) nur mit fünf Millionen Dollar belastet wäre. Würden die Raiders Carr heute entlassen, müssten sie 27 Millionen Dollar ausgeben. In diesem Fall wäre für neue Spieler deutlich weniger Geld zur Verfügung. Basteln an den Vertragsstrukturen der Spieler in der NFL ist eine Kunst für sich – und entscheidet nicht selten über Erfolg oder Misserfolg einer Franchise.

Auch im Draft Ende April haben die Raiders ihr Team optimiert, nur hätten sie nach der Meinung vieler Experten noch einen größeren Fortschritt machen können. Statt für Pass-Rusher Josh Allen oder Ed Oliver (Defensive Tackle), denen mehr Potential zugetraut wird, entschieden sich die Raiders für Clelin Ferrell (Defensive End) an Position vier. Auch Josh Jacobs (Running Back, an Position 24) und Jonathan Abram (Strong Safety, an Position 27) hätten die Raiders später im Draft auswählen können, da sie vermutlich noch verfügbar gewesen wären.
Nichtsdestotrotz hat General Manager Mike Mayock, der bis vor kurzem fürs Fernsehen arbeitete, mit dem Draft den Grundstein gelegt für eine bessere Ausbeute als 2018. Auf dem Papier steht Trainer Gruden eine deutlich bessere Offensive und eine etwas stärkere Defensive zur Verfügung. Aber Theorie und Praxis unterscheiden sich manchmal wie Lackschuhe und Bergstiefel. Gerade die Teamchemie könnte den Raiders zum Verhängnis werden, denn es besteht Explosionsgefahr angesichts der Ansammlung schwieriger Persönlichkeiten.
Burfict trifft auf Brown
Der neue Raiders-Linebacker Vontaze Burfict fiel in seiner Karriere häufig durch Überhärte und Dreistigkeit auf. Im Januar 2016 attackierte er seinen neuen Teamkollegen und damaligen Gegenspieler Antonio Brown auf hinterlistige Weise. Damals wurde er für drei Partien gesperrt. Brown hingegen konnte nicht weiterspielen und verpasste auch das folgende wichtige Playoff-Spiel. Doch jetzt gemeinsam bei den Raiders sollen die beiden plötzlich gute Freunde sein, zumindest berichten davon die lokalen Medien.
Brown eilt der Ruf voraus, eine Diva zu sein. Manchmal färbt er seinen Schnurbart blond. Im letzten Jahr reiste er per Helikopter zum Trainingscamp in Pittsburgh an. Zu Teambesprechungen soll er zu spät eingetroffen sein und dabei das Ziel verfolgt haben, einen Wechsel zu erzwingen, was ihm letztlich auch gelang. Als sich sein Ende in Pittsburgh näherte, mäkelte er öffentlich an seinen Mitspielern.
Skandal-Profi Incognito
Potential für Zündstoff ist durchaus vorhanden, denn es lauern vorsichtig gesagt auch sonderbare Teamkollegen wie Richie Incognito. Dessen Liste an Skandalen kann es mit der von Klaus Kinski aufnehmen. Im vergangenen Sommer soll Incognito während Gesprächen über die Beerdigung seines Vaters in einem Bestattungsinstitut randaliert und den Mitarbeitern gedroht haben, sie zu erschießen. Damals stellte die Polizei zudem mehrere Schusswaffen in seinem Truck sicher.
Erst kürzlich soll er im Haus seiner 90-jährigen Oma ein Loch in die Wand geschlagen und dann die elektronische Kontrollbox des Haus-Sicherheitssystems aus der Wand gerissen haben.
Vor sechs Jahren in Diensten der Miami Dolphins war er der Drahtzieher eines Mobbing-Vorfalls gegen den jungen Jonathan Martin. Mit öffentlichen Schikanen und rassistischen SMS-Botschaften machte Incognito seinem Offensive-Line-Kollegen das Leben schwer. Mittlerweile scheint er auf diesem Gebiet zwar aus seinen Fehlern gelernt zu haben; seit Juli 2018 ist Incognito offizieller Sprecher einer Anti-Mobbing-Organisation, aber als Klosterschüler hat sich der 35-Jährige nie hervorgetan.
Die Verpflichtung von Incognito im April hatte zu kontroversen Debatten geführt. General Manager Mike Mayock verteidigte das Vorgehen der Raiders und sagte: „Wir müssen ihm helfen, dass er sich selbst helfen kann.“ Allerdings müsse Incognito Tadellosigkeit auf und abseits des Felds unter Beweis stellen.
Als wenn nicht schon genug wäre, dass dieser Haufen zwielichtiger Charakterköpfe eine Kabine teilt, wird das Ganze im Trainingscamp auf Kamera festgehalten. Die HBO-Doku „Hard Knocks“ begleitet die Raiders in der Vorbereitungsphase auf die neue Saison. Das Film-Team erhält umfassenden Zugang zu Trainer- und Spielerkonferenzen sowie zu den Trainingseinheiten. Gescriptet ist nichts, die Spieler möchten sich ja von ihrer Sahneseite präsentieren; ob sie das aber hinkriegen, wird mit Spannung zu sehen sein.