Brose Bambergs Tyrese Rice hat bereits in China, Russland und Litauen gespielt. Der 31-jährige Profibasketballer gilt als Weltenbummler. Aber wo er spielte, hinterließ er Spuren. Sein Selbstbewusstsein verhalf ihm zum wichtigsten Titel Europas.
16. Mai 2014. Die vier besten europäischen Teams küren ihren Meister, Basketball-Euroleague, Pendant zur Champions League im Fußball. Alle Partien finden in Mailand statt. Maccabi Tel Aviv gilt als Außenseiter. Der FC Barcelona, Real Madrid und ZSKA Moskau sind auf dem Papier besser besetzt. Maccabi definiert sich über Geschlossenheit und Willen. Mehr zu geben als die Gegner und permanent an sich selbst zu glauben, heißt ihre Devise. Vor allem ein Spieler hat diesen Leitsatz verinnerlicht: Tyrese Rice.
Der 1,85 Meter große Aufbauspieler ist einer der Führungsspieler Maccabis. In der Schlussphase eines engen Spiels, drücken die Mitspieler Rice den Ball in die Hand. Beim Halbfinale gegen Moskau steht er wieder in der Verantwortung. Fast über die komplette Spieldauer marschiert der zentrale Sportklub der Armee aus Moskau vorneweg, und wird seinem Favoritenstatus gerecht. Vor dem Schlussviertel beträgt der Vorsprung des russischen Serienmeisters 10 Punkte. Doch Tel Aviv kratzt, beißt, spornt sich gegenseitig an und reduziert das Defizit 13 Sekunden vor Spielende auf einen Zähler.
Dennoch besitzen die Moskauer einen Vorteil. Nach einer Auszeit können sie den Ball von Maccabis Seitenlinie aus einwerfen. Normalerweise müssten die Israelis einen gegnerischen Spieler foulen und hoffen, dass dieser an der Freiwurflinie Nerven zeigt. Moskau passt den Ball ins Spielfeld, Victor Khryapa bekommt den Ball nicht zu fassen, dieser trudelt zu Boden. Binnen Sekunden lösen sich jegliche Gedankenspiele in Luft auf. Maccabi reagiert gedankenschnell, ein Spieler nimmt das Leder auf und passt es prompt zu Rice weiter, der in eigener Hälfte Fahrt aufnimmt.
Rice vs. Teodosic
Welche Gedanken jetzt durch seinen Kopf schießen, weiß nur Rice selbst. Jedenfalls arbeitet sein Gehirn unter Hochdruck. 10 Sekunden verbleiben. Der kompakte Athlet entscheidet sich sich für den ersten Gedanken. Er war nie ein Spieler, der zögert und lang überlegt, bevor er Entscheidungen trifft. Er will seine Mannschaft auf eigene Faust ins Finale führen. Daher dribbelt Rice im Sprint zum gegnerischen Korb und attackiert Milos Teodosic, einen verschlafen aussehenden Filigranbasketballer, der allerdings defensiv Schwächen besitzt.
Rice hebt vom Boden ab, initiiert bewusst Kontakt mit Teodosic. Beide springen hoch, beide mit unterschiedlicher Intention. Rice will seine Chancen für den Korberfolg erhöhen, Teodosic will ihn blocken. Der Serbe ist 10 Zentimeter größer, aber weniger mobil und nicht so bullig wie Rice, was dem Angreifer einen Vorteil verschafft. Artistisch schließt der US-Amerikaner mit seiner linken Hand den Korbleger ab. Dieser bahnt sich seinen Weg durch das Nylon. Ein Paukenschlag bringt Maccabi mit 69:68 in Front, ihre erste Führung seit dem 2:0 in der ersten Spielminute. Der letzte unter Zeitdruck abgefeuerte Dreierversuch der Russen bringt nichts mehr ein. Schlusssirene. Das ganze Team und der Trainerstab fällt auf den Matchwinner her, um Rice bildet sich eine Jubeltraube.
Krönung im Finale gegen Madrid
Zwei Tage später trifft Maccabi im Finale auf das hochfavorisierte Real Madrid, das Barcelona im zweiten Halbfinale mit 100:62 ausgeschaltet hat. Doch Tel Aviv leistet mehr Widerstand als die Katalanen. Das Spiel entwickelt sich zu einem Schwergewichtsboxkampf, eng und hart umkämpft. Zunächst hat es Rice ruhig angehen lassen, im Schlussabschnitt findet er dann seinen Rhythmus, trotzdem geht es mit dem Stand von 73:73 in die Verlängerung. Dort dreht der Point Guard auf, erzielt allein in den letzten fünf Minuten 14 Punkte. Dazu verwandelte er jeden seiner neun Freiwürfe. Als bester Punktesammler (26 Zähler) wird er zum wertvollsten Spieler des Finales gekürt. Tel Aviv triumphiert mit 98:86. „Es war das wichtigste und mein bestes Spiel meines Lebens“, sagt der damals 27-Jährige.
Inzwischen geht der Profi, dessen Markenzeichen ein weißes Stirnband ist, für brose Bamberg auf Korbjagd. Nach etlichen Meistertiteln befinden sich die Oberfranken im Umbruch. Dem Trainer Ainars Bagatskis steht eine Mischung aus dynamischen Jungen und abgezockten Veteranen zur Verfügung. Rice zählt zu Letzteren. Wie er vor zwei Monaten im Gespräch mit dem Portal Spox klargemacht hat, möchte der heute 31-Jährige nur noch maximal drei Jahre in Europa bleiben und dort seine Karriere beenden. Danach will er zu seinen beiden Söhnen zurückkehren.
Familie ist ihm wichtig. Viele Jahre tourte er mit seinem ältesten Sohn durch Europa, fungierte neben seinem Job auch als als Hausfrau für Sohn Ashawn. „Tyrese hat eine große Karriere gemacht, aber er ist ein noch größerer Mensch. Neben seinem Job als Basketballprofi hat er mit ihm Schularbeiten gemacht, für ihn gekocht, seine Tasche gepackt. Er hat das alles allein gemacht“, sagte Bayern Münchens Manager Marko Pesic, der Rice 2012 für ein Jahr an die Isar lotste. Mittlerweile wohnt Ashawn und sein jüngerer Bruder bei der Großmutter. Nur in der basketballfreien Zeit im Sommer oder wenn mal für ein paar Tage trainingsfrei ist, besucht Rice seine Familie in Virginia.
Nach Quakenbrück (2010/2011) und München (2012/2013) macht der Wahl-Bamberger Rice zum dritten Mal Halt in Deutschland. Im August 2018 hat Rice einen offenbar gut dotierten Einjahresvertrag unterzeichnet. Selten bleibt er länger als eine Saison bei seinen Teams. Selbst nach dem Euroleague-Titel mit Maccabi, seinem größten Erfolg, suchte er sich eine neue Herausforderung und zog weiter zu Khimki Moskau, wo er den Eurocup gewann. Bamberg ist seine neunte Station.
Nach seiner College-Zeit in Boston begann seine Europa-Tournee in Athen, er lief für Barcelona auf, frierte in Vilnius und Moskau und verdiente gutes Geld in China bei den Shenzhen Leopards. Rice gilt als Weltenbummler, der an keinem Ort länger als zwei Jahre blieb. Aber überall hinterlässt er Fußabdrücke, weil er als Führungsspieler nicht die Verantwortung scheut. Fast immer ist er der beste Spieler seines Teams, lässt dies aber nie heraushängen, auch wenn sein Spielstil die Kollegen hin und wieder außen vor lässt.
Ohne Selbstzweifel
Auch in Bamberg reißt Rice das Spiel an sich. Primär denkt er an den eigenen Abschluss, er trägt die „Shoot-First“-Mentalität in sich. Manchmal täte er besser daran, den offenen Mitspieler anzuspielen anstatt den schwierigen Wurf zu forcieren. Manchmal sollte er seinen Kollegen den Vortritt lassen anstatt in eine Mauer aus Verteidigern zu dribbeln, sich dort zu verfangen und den Ball zu verlieren. Andererseits hat seine Entschlossenheit ihm den individuellen Erfolg geebnet. Als Basketballer muss man ein Kurzzeitgedächtnis haben, damit man nicht lange hadert, wenn mal zwei, drei Würfe danebengehen. Rice erzielte den entscheidenden Korbleger im Euroleague-Halbfinale vor vier Jahren, weil er keine Selbstzweifel kennt.
In der laufenden Saison überzeugt er als bester Punktesammler des Teams. Gegen den spanischen Klub Fuenlabrada verzeichnete er 33 Punkte. Durchschnittlich erzielt er knapp 14 pro Spiel. Bamberg rangiert in der Bundesliga auf Platz vier, in der Champions-League-Gruppe ist der neunmalige deutsche Meister Dritter. Angesichts der starken Konkurrenz könnte die Mannschaft leer ausgehen in den Titelkämpfen. Tyrese Rice wird allerdings nichts unversucht lassen, und mit Selbstvertrauen den letzten Wurf eines knappen Spiels nehmen.