Fußball

Fußball WM 2022: Im Klub hui, in der Nationalmannschaft pfui

https://pixabay.com/de/photos/m%C3%BCnchen-olympiaturm-fernsehturm-640839/?download

Als die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 2018 in der Gruppenphase scheiterte, lautete die einhellige Meinung: Viel schlimmer kann es kaum werden. Doch das Fazit der WM 2022 fällt ähnlich ernüchternd aus, die Erfolglosigkeit ist kein Zufall mehr. Aber warum können die Spieler ihre meist starken Leistungen im Klub nicht aufs Nationalteam übertragen?

Am 9. Juni 2006 siegte die deutsche Fußballnationalmannschaft im Eröffnungsspiel bei der Heim-WM 4:2 gegen Costa Rica. Philipp Lahm und Thorsten Frings schossen wunderschöne Tore, zweimal stand Miroslav Klose goldrichtig.

Deutschland hatte nicht die besten Spieler, aber einen außergewöhnlichen Teamspirit und einen ungebrochenen Willen, an die körperlichen Grenzen zu gehen. Im Kader standen Spieler wie Tim Borowski, Per Mertesacker, David Odonkor oder Oliver Neuville, die nicht unbedingt für die feine Klinge bekannt waren.

Am Ende wurde Deutschland Dritter, gleichzeitig wurde 2006 der Grundstein für Erfolge bei späteren Turnieren gelegt. Zwischen 2006 und 2016 erreichte die DFB-Elf immer mindestens das Halbfinale.

Am 1. Dezember 2022 siegte Deutschland wieder 4:2 gegen Costa Rica. Die Tore schossen Serge Gnabry, Niclas Füllkrug und zweimal Kai Havertz. Trotz einer Ansammlung guter und international erfolgreicher Spieler schied die Mannschaft wie 2018 in der Gruppenphase aus, da sie gegen Japan (1:2) und Spanien (1:1) das Weiterkommen verspielt hatte.

Für Enrique galt Deutschland als Mitfavorit auf den Titel

Sowohl Bundestrainer Hansi Flick als auch Experten aus dem Ausland hatten vor dem Turnier immer wieder auf das enorme Talent der Deutschen verwiesen. Spaniens Nationaltrainer Luis Enrique betrachtete den Gruppengegner sogar als Mitfavorit auf den Titel.

Wenn man die Leistungen deutscher Spieler im Klubfußball zugrunde legt, ist diese Einschätzung nicht zu weit hergeholt: Der FC Bayern München gewann 2020 die Champions League mit Flick an der Seitenlinie und den Nationalspielern Manuel Neuer, Niklas Süle, Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Serge Gnabry und Thomas Müller. Der damals 17-jährige Jamal Musiala saß beim 4:1 gegen Chelsea und beim 8:2 gegen Barcelona sogar auf der Bank, kam aber nicht zum Einsatz.

Ein Jahr später erzielte Kai Havertz das entscheidende 1:0 im Champions-League-Finale gegen Manchester City, auch Antonio Rüdiger und der derzeit verletzte Timo Werner waren dabei. Manchester City wurde 2022 erst am letzten Spieltag englischer Meister (durch einen 3:2-Sieg gegen Aston Villa) und hatte den Triumph zwei späten Toren von Ilkay Gündogan zu verdanken.

Wer den deutschen Spielern die internationale Klasse abspricht, hat in den letzten Jahren nicht aufgepasst. Im Sturmzentrum und in der Abwehr (vor allem rechts hinten) ist Deutschland zwar nicht so hochkarätig besetzt, in den anderen Mannschaftsteilen besteht jedoch ein Überangebot an fähigen Technikern und schnellen Offensivspielern.

Musiala überzeugt mit seiner Spielfreude bei der WM

Aber warum zeigen die Spieler im Klub hervorragende Leistungen, während sie mit dem Adler auf der Brust gegen nominell schwächere Nationen an ihre Grenzen stoßen und sich unerklärliche Fehler leisten? Eine Antwort auf diese Frage fällt schwer. Der einzige, der sich bei dieser WM unabhängig vom Spielstand unverkrampft und spielfreudig zeigte, war der 19-jährige Musiala. Nur versäumte er es, seine Dribblings mit Toren zu veredeln.

Bei der WM 2018 scheiterte Deutschland an Mexiko (0:1) und Südkorea (0:2), diesmal war es Japan. Jedes dieser Teams hat Spieler internationaler Klasse. Bei Mexiko etwa Hirving Lozano, bei Südkorea Heung-Min Son, bei Japan Daichi Kamada. Dennoch ist Deutschland auf den meisten Positionen besser besetzt.

Aber auch in der Endphase unter Joachim Löw und in den ersten eineinhalb Jahren unter Flick hatte Deutschland zu häufig das Nachsehen gegen „schwächere“ Nationen, wie die 0:1-Niederlage gegen Ungarn im September 2022 und die 1:2-Pleite gegen Nordmazedonien im März 2021 beweisen.

Bei der Fußball WM 2022: Nach Führung nachlässig

Bei dieser WM war Deutschland am letzten Gruppenspieltag auf die Spanier angewiesen. Weil diese gegen Japan ebenfalls 1:2 verloren, war der deutsche Sieg gegen Costa Rica bedeutungslos – und trügerisch, weil er alles andere als souverän zustande gekommen war. Zwischenzeitlich hatte Costa Rica 2:1 geführt. Wie schon gegen Japan schenkte Deutschland eine 1:0-Führung her und präsentierte sich zwischen der 35. und 65. Minute uninspiriert im Angriff und fahrig in der Abwehr.

Vor allem das 1:1 stand sinnbildlich für die deutschen Probleme: Ein Ballverlust von David Raum im Aufbau führte zu einem Gegenangriff des Gegners. Im Zentrum machten Antonio Rüdiger und Niklas Süle keinen Druck auf ihre Gegenspieler. Keysher Fuller konnte unbedrängt auf Kendall Waston flanken. Dessen Schuss konnte Manuel Neuer noch parieren, den Nachschuss bugsierte jedoch Yeltsin Tejeda über die Linie. Dabei war er schneller am Ball als Süle und Raum, die sich als weniger handlungsschnell erwiesen.

Schweinsteigers Meinungsverschiedenheit mit Flick und Rüdigers Kritik

Im Nachgang an die Partie hob ARD-Experte Bastian Schweinsteiger hervor, dass er „das Brennen“ bei den Spielern vermisse. Flick, der neben ihm stand, bezeichnete die Kritik als „absoluten Quatsch“. Schweinsteiger präzisierte: „Es gibt Situationen, wo ich von außen merke: Da fehlen jetzt die fünf Prozent Konzentration – wie heute beim 1:1, als Campbell völlig frei in der Mitte steht“, erklärte der Weltmeister von 2014. „Brennen heißt ja nicht nur immer attackieren, sondern auch, im Kopf mitdenken und dabei sein.“

Laut Schweinsteiger habe die DFB-Elf gegen Japan und Costa Rica „zu oft den Gegenspieler teilweise freigelassen und nicht zugestellt und die Umschaltmöglichkeiten unterbrochen. Gegen Spanien haben wir es gut gemacht, da sind wir hingegangen. Aber gegen Japan und heute war mir das zu wenig. Da ist bei mir nicht der Funke übergesprungen. Toni Rüdiger macht das ja normalerweise. Aber die anderen? Da fehlt mir einfach was“, meinte der 38-Jährige.

Flick hatte nun wieder Gelegenheit zu antworten: „Wir haben Fehler gemacht, aber dass die Mannschaft nicht brennt, sehe ich nicht. Sie hat heute gewollt.“ Dass Schweinsteiger nicht Unrecht haben dürfte, unterstrich allerdings ein Zitat von Antonio Rüdiger.

„Die letzte Gier, dieses etwas Dreckige – das fehlt. Viel Talent, alles schön und gut. Aber da gehört mehr dazu als einfach nur Talent, da spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Da müssen wir uns verbessern, sonst kommen wir nicht weiter“, sagte der Innenverteidiger von Real Madrid, ohne dabei auf Schweinsteigers Aussage direkt Bezug zu nehmen.

Ein Manko: Deutschlands Chancenverwertung

Deutschland scheiterte allerdings nicht nur an Konzentrations- und Zuordnungsfehlern in der Defensive, sondern auch an der Chancenverwertung. 26 Schüsse gegen Japan, 11 gegen Spanien, 32 gegen Costa Rica. Insgesamt schoss Deutschland 69 Mal in Richtung des gegnerischen Tores, keine andere Nation hatte nach drei Spielen mehr. Trotzdem standen nur sechs Tore zu Buche.

Spielerisch sahen die Leistungen phasenweise erstaunlich gut aus. Mit mehr Effizienz im Abschluss hätte Deutschland gegen Japan 3:0 oder 4:0 führen müssen, ehe die Spieler einen Gang zurückschalteten und so den Gegner wieder ins Spiel brachten. Im Spiel gegen Costa Rica führten darüber hinaus 14 Eckbälle zu kaum nennenswerter Torgefahr.

Die Kontroverse um die One-Love-Binde

Haben die Deutschen aus so vielen Tormöglichkeiten so wenig Kapital geschlagen, weil sie im Kopf nicht befreit waren? In diesem Zusammenhang kann man auch die Frage stellen, wie viel Unruhe die Kontroverse um die One-Love-Binde ins Team gebracht hat. Aber das wird wohl unbeantwortet bleiben. Diese Nebensache wollten die Spieler verständlicherweise nicht als Entschuldigung für ihre Leistungen hernehmen.

Nachdem der Weltverband FIFA das Anziehen der One-Love-Binden für die teilnehmenden Nationen unter Strafe gestellt hatte (gelbe Karten!) und die Deutschen kurz vor dem Turnier eingeknickt waren, hielten sich die Nationalspieler vor dem Japan-Spiel als Zeichen des Protests die Hand vor dem Mund.

Eine Art Kompromisslösung nach dem Motto: Wir wollen ein politisches Statement setzen, für Vielfalt und Toleranz stehen, auf die Menschenrechtsverletzungen in Katar aufmerksam machen, aber uns dabei an die Vorgaben der FIFA halten und keine Strafe riskieren. Wir wollen die Zustände im Gastgeberland zwar kritisieren, aber nicht zu forsch. Nach Informationen der ARD wollten außerdem nicht alle Nationalspieler, vor Anpfiff des WM-Auftakts ein Zeichen setzen.

Wirkte sich diese innere Zerissenheit womöglich auch auf den Sport aus? Waren die Nationalspieler mit vollem Fokus beim Fußball? Lassen sich Gedanken nach der Außenwirkung der Geste komplett beiseiteschieben, während die unsichere DFB-Führung mit sich selbst beschäftigt ist?

Flick und Bierhoff müssen sich Kritik anhören

Natürlich muss sich auch Flick Fragen gefallen lassen: Hätte er mehr auf den formstarken Füllkrug setzen sollen? Hat die Abwehr davon profitiert, dass vier unterschiedliche Spieler als Rechtsverteidiger (Niklas Süle, Thilo Kehrer, Joshua Kimmich, Lukas Klostermann) zum Einsatz kamen?

Mehr noch als Flick wurde DFB-Direktor Oliver Bierhoff bereits am Tag des Ausscheidens auf den Prüfstand gestellt. Nach der WM-Titel 2014 hat er den Marketingslogan „die Mannschaft“ eingeführt, seitdem brachen die sportlichen Erfolge ein – und die Zuschauerzahlen bei Heimspielen.

Nach drei enttäuschenden Großturnieren hintereinander (WM-Vorrunden-Aus 2018, EM-Achtelfinal-Aus 2021, WM-Vorrunden-Aus 2022) waren die Argumente für seine Weiterbeschäftigung rar geworden. Am Montagabend trat er von seinem Posten zurück. Wer Bierhoffs Nachfolger wird, ist offen – so auch die Frage, ob Flick unter dem Neuen die Chance auf Wiedergutmachung bekommt.

Viel Zeit, um die Nationalmannschaft wieder auf Kurs zu bringen, bleibt nicht. Die EM 2024 findet in Deutschland statt, ein frühes Ausscheiden ist nicht eingeplant. Englands Nationalspieler Gary Lineker prägte einst den Spruch „Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten einem Ball hinterher und am Ende gewinnen immer die Deutschen“. Nach dem deutschen Aus ergänzte er den Satz „Wenn sie es durch die Gruppenphase schaffen.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert